Unser Kurs wendet sich nun nach Südwesten in Richtung der ersten V-Stelle. Wir müssen wieder hinauf. Ein, zwei ganz kurze Teerstücke sind darunter, dann geht es wieder auf Wiesen- und Waldwegen steil bergauf. Dann wird Petrus inkontinent, denn plötzlich regnet‘s. Der Untergrund wird schnell entsprechend schmierig. Der Unterschied zwischen Trailschuhe und Straßenlaufschuhe wird nun deutlich. Sogar gut profilierte Straßentreter kommen nun an ihre Haftungsgrenze. Hinter einem Baum liegen zwei riesige Knochen. Nicht jeder hat diese gesehen. Eine Sau hat keine so große Knochen, wahrscheinlich hat ein Hund ein Mammut ausgegraben und die Reste für Hungerszeiten hinterlegt. Kurz später die bekannte Tankstelle. Aufpassen, nicht dass man nach der Trinkpause noch mal die Turmrunde macht oder in eine Endlosschleife gerät.
Noch rund zehn Kilometer. Wer jetzt glaubt, das Rennen auslaufen lassen zu können, der täuscht sich gewaltig. Das Höhenprofil schaut auf den letzten Kilometer eher aus wie das Blatt einer Handsäge. Auf und nieder, immer wieder. Der Kurs führt steil in den Talgrund, und stellt sich dann mit 50 bis 100 Höhenmeter dem Läufer entgegen. Die meisten werden an diesen Steigungen zum Wanderer. Nur wenige, wahrscheinlich die Spezialisten an der Spitze, werden da hinauflaufen.
Die Ortschaften Molkenberg, Gunzenbach, Hohl und Rappach liegen allesamt unten und sind durch Höhenzüge voneinander getrennt. Wenn sich das Feld nicht auseinandergezogen hätte, könnte man unsere Jubelarien besonders an den Ansteigen hören. Zusammenreißen müssen wir uns auf dem Kreuzweg oberhalb von Hohl, Fluchen ist verboten. 1926 wurde am unteren Ende des Pilgerweges die Lourdesgrotte errichtet. Für ein Bild dieses kleinen Bauwerkes reicht die Zeit.
Viele Helfer haben die Vereine für die Veranstaltung gestellt. Die Feuerwehren sichern dabei meist die Ortsstraßen. Nicht nur mein Lob geht an diese Helfer. Ohne deren Unterstützung wäre eine Organisation nicht einfach. Mittlerweile hat Petrus den Hahn zugedreht, die Wolkendecke am Himmel bekommt erste Lücken.
Dann scheint die Plagerei ein Ende zu haben, denn ich erblicke Kilometerschild eins und sehe auch schon die Kirche in Mömbris ganz nahe. In fünf Minuten wartet Bier und Brotzeit, so mein Gedanke. Stutzig werde ich dann nach einigen Augenblicken, als ich rechts oberhalb von mir zuerst einen, dann mehrere im Galopp dahin springen sehe. Gleich danach geht es nochmals 20 Höhenmeter hinauf. Und nach langen 14 Laufminuten (!) kommt in Mömbris das Zieltransparent in Sicht. Kein einziger Kilometer, eher zwei, oder eine Meile Luftlinie ist der Abstand des angesprochenen Kilometerschildes zum Ziel. Doch dann ist Etappe zwei Geschichte.
Die Finisher, gleich ob nur dieser Tag oder die ganze Serie gebucht wurde, sind glücklich, ohne große Schrammen das Ziel erreicht zu haben. Aber der Schuhputz aller ist unter aller Sau, die Bilder beweisen es. Der Verpflegungsbereich ist prima bestückt wie am Vortag, lediglich das alk-freie Bier geht zur Neige.
Am Abend findet in dem neuen Feuerwehrhaus von Mömbis die Siegerehrung und Pastaparty statt. Nudeln in normal und Vollkornqualität, dazu zwei verschiedene Saucen, das reicht dicke. Und wer noch nach Wurst und Pommes giert, auch daran ist gedacht. Nach vier Bier und nach der Siegerehrung mache ich mich vom Acker. Hoffentlich wird der Muskelkater am nächsten Tag nicht so heftig ausfallen, so mein Nachtgedanke. Ich hoffe auf die Hopfentherapie.
Am Morgen jaulen die Oberschenkel gewaltig vom Bergablaufen. Die Hopfenanwendung vom Vortag war nicht erfolgreich. Zeitig räume ich in der Turnhalle meine Sachen zusammen und marschiere 45 Minuten vor dem Start (10.00 Uhr) in die Ortsmitte. Da noch ein wenig Zeit ist, beschränkt sich mein Warming-Up auf eine kleine Erkundung.
Mömbris ist mit 12000 Einwohner eine Marktgemeinde, der Name geht auf das mittelhochdeutsche Wort „Helmeris“ zurück. Der Einheimische sagt zu seiner Heimat „Memersch“. Die den Ortskern dominierende katholische Pfarrkirche St. Cyriakus wurde in den Jahren 1782 bis 1784 errichtet. Aus sportlicher Sicht werden viele von Euch Mömbris mit Ringen verbinden. Zusammen mit Königshofen kommen die Unterfranken bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften meist bis in die Finalkämpfe. Und wer sich mit dem ersten Bürgermeister Felix Wissel anlegen will, sollte sich in Acht nehmen. Der ist nämlich ehemaliger Bundesligaringer. Aber der Marktchef ist im Urlaub, so hat er seinen Vertreter Robert Brückner geschickt, der uns noch ein paar Infos über seine Gemeinde sagt, bevor wir in die Startzone gelassen werden.
Fünf Minuten nach 10.00 Uhr werden wir schließlich auf die Strecke geschossen. 22,6 Kilometer mit 561 Höhenmetern stehen heute auf der Agenda. Kürzer und deutlich weniger Höhenmeter im Vergleich zum Vortag, die aber ebenfalls nicht zu unterschätzen sind. Gut 200 Höhenmeter sind auf den ersten vier, fünf Kilometer hoch zum Hahnenkamm zu bezwingen.
Nicht mal 500 Meter geht es flach im Ortskern dahin, danach biegen wir auf eine steile Gasse ein, die uns mit mehr als 10 Prozent Anstieg nach oben führt. Nach zehn Minuten Wettkampfzeit zwingt uns eine noch stärkere Steigung auf Grasuntergrund bereits zum Gehen. Und dann sehen wir auf dem Bauersberg und haben eine schöne Aussicht in den Kahlgrund.
Recht kurzweilig führt uns der Kurs südlich an Hemsbach vorbei zum Hahnenkamm. Trotz meiner maladen Oberschenkelmuskulatur macht es viel Spaß, über Baumstämme zu springen, sich durch das tiefe Laub zu wühlen oder einen tiefen Graben zu überwinden. Dann überqueren wir eine Teerstraße, wo vier Zuschauer eifrig applaudieren, darunter der zweite Bürgermeister Robert Brückner.
An der ersten Verpflegungsstelle, die am gleichen Ort wie am Vortag aufgebaut ist, wird die Zeit genommen und dann ausgiebig gefuttert. Die Wegführung bleibt ländlich-rustikal mit Steinen, Wurzeln und engen Wegen. Wir sind knapp eine Stunde im Rennen, dann zeigt ein Schild die restliche Weglänge von 15 Kilometer an. Die folgenden gut zwei Kilometer sind gefällig, vom Höhenprofil her. Aber nicht so die Wegführung, denn unmittelbar nach dem Waldrand geht es steil einen Wiesenweg Richtung Michelstadt hinunter. Und bevor wir in den Ort laufen, gibt es eine Baustellenbesichtigung. Ein kleines Baugebiet wird da erschlossen und auf dem Schotteruntergrund rennen wir weiter. Am Ende können die Känguruhs unter uns noch mit einem eleganten Satz über die Baustellenabsperrung hüpfen. Die Lahmen zwängen sich dann seitlich durch.
Michelbach ist die Trennlinie zwischen Hahnenkamm und Mühlmark und liegt im unteren Kahlgrund. Hier ist die nördlichste Weinanbaustelle Bayerns. Die Pfarrkiche St. Laurenzius haben wir schon frühzeitig gesehen, sie wurde 1777 auf den Resten einer früheren Kapelle erbaut. Sehenswert ist auch das barocke Michelbacher Schlösschen, das heute ein Museum beherbergt. Ja, und der Täter kehrt immer an seinen Tatort zurück: Vor Jahren habe ich hier bei einen Feuerwehrlauf mitgemacht. An dem damaligen Start laufen wir jetzt auch vorbei. Ich erinnere mich, dass es damals für meinen Trepperlplatz einen süffigen Boxbeutel gab. Ein wenig langweilig ist der Radweg entlang der Staatsstraße.
Kurz vor dem Waldrand der Mühlmark sind an einem Pferch zwei Pferde zu sehen, die sich mit einem Pfeifen anlocken lassen. Die Steigungen sind jetzt deutlich leichter im Vergleich zum Hahnenkamm, doch flach ist es beileibe nicht. Immer wieder geht es 30, 50 Höhenmeter nach oben. Bevor wir in dem Waldstück voll verschwinden, können wir an der zweiten und letzten Tankstelle nochmals zugreifen.
In der Mühlmark hat Alzenau vor ein paar Jahren eine Finnenbahn errichtet. Und da für uns jede Abwechslung willkommen ist, hat man den Kurs auf die Finnenbahn umgeleitet. Der weiche Boden aus Hackschnitzeln und Sägespänen ist eine Wohltat für die Füße, auch wenn das Vorwärtskommen Kraft kostet.
Nach 15 Minuten führt uns ein kleiner Abhang mit Wurzeln an den Einfallsgraben, ein gut zwei Kilometer langes Bächchen, heran, wo ein kleines Wasserrad der Klappermühle angetrieben wird. Das Gescheppere ist eine Zeitlang noch zu hören. Mittlerweile kann ich auf einige Trailer auflaufen und diese überholen, darunter ist die Führende der Senior Master Frauen.
Nach wenigen Minuten laufe ich an der Antoniusgrotte vorbei. Diese wurde 1954 zu Ehren meines Namenspatrons als Dankbarkeit für die Kriegsheimkehrer erbaut. Wir unterqueren kurz darauf eine Staatsstraße und tangieren kurz Alzenau.
Das letzte Wegstück führt uns nun in die Streuobstwieden östlich von „Alsenah“. Die Stadtpfarrkirche ist schon eine ganze Weile zu sehen. Über einen Wiesenabhang schleiche ich dann hinunter zum Kahlradweg, auf dem nun einige Radler unterwegs sind. Die Wolken haben sich mittlerweile verzogen, die Temperatur ist in Richtung 20 Grad gestiegen. Die letzten Meter verlaufen auf Asphalt neben dem Parkplatz unterhalb der Burg. Nach einer Kurve renne ich in die Innenstadt und dann grinsend bis hinter die Ohren durch das Ziel. Damit ist der letzte Schritt bei diesem Wochenendprogramm getan.
Kinder überreichen die Medaillen, Erwachsene die Gutscheine für Kaffee und Kuchen. An der Zielverpflegung mangelt es an nichts: Wasser, Cola, Orangen, Bananen, Nüsse, Tomaten, Gurken. Doch, ein Verbesserungsvorschlag: Bayerisches Manna fehlt.
Glücklich laufen die Trailer unter dem Zieltransparent durch. Viele einzeln, manche mit Frau, Freundin oder Vereinskollegin. Lange stehen wir noch zusammen, diskutieren, ratschen oder lassen uns einfach die Sonne auf den Bauch scheinen.
Pünktlich um 14.00 Uhr beginnt die Siegerehrung, bei der Bürgermeister Dr. Alexander Legler die Preise überreicht. Die Führenden erhalten dabei wertvolle Preise der Sponsoren. Die Chefs der Veranstalter Plan B, Heinrich Albrecht und CS-events, Sven Simon, bedanken sich bei den rund 400 Läufern und würden sich freuen, im nächsten Jahr wieder nach Unterfranken kommen zu dürfen. Ich auch.
13.04.14 | Stand Up (For The Champions) |
Andrea Helmuth |