Sechzig Kilometer nordöstlich von Frankfurt war vor 20 Millionen Jahren was los: Das größte Vulkangebiet Mitteleuropas entstand und blubberte 10 Millionen Jahre vor sich hin. Weil Hessen damals in den Tropen lag, sind die Reste der Vulkane recht schnell abgetragen worden und erreichen heute nur noch eine Höhe von 700 Metern.
Das Vulkangebiet nennt man Vogelsberg, weil seltsame Vögel zu einem 67 Kilometer langen Ultratrail mit 1950 Höhenmetern einfliegen. Landeort ist Schotten, das seinen Namen tatsächlich von den Rockträgern hat. Die kamen zwischen dem 6. Und 8 Jahrhundert aufs Festland, um unsere Vorfahren zum Christentum zu bekehren.
Wer dachte, die Germanen wären direkt von Rom christianisiert worden, liegt nämlich nicht richtig. Zwar hatte Kaiser Konstantin mit seiner Wende 313 n Chr. den Weg der orthodox-katholischen Kirche zur Reichskirche geebnet, doch das galt nur für die Reste der römischen Städte.
Die unzugänglichen Gebiete Germaniens, Bayerns und der Alemannen wurden von irisch-schottischen Wandermönchen missioniert. Da Irland und Schottland nicht römisch besetzt waren, hatte sich dort die keltische Kultur erhalten, so traten diese Mönche in die Fußstapfen der keltischen Druiden. Sie zerstörten nicht das kulturelle Erbe der Kelten und Germanen.
Doch dann kam Bonifatius (um 700), der Missionar der Deutschen. Er kam aus Wessex, vertrat also die römische Denkweise. Er kam nach den iroschottischen Wandermönchen in unser Trailgebiet und nahm den Chatten, dem germanischen Stamm, von dem das Wort „Hessen“ stammt, ihre Kultur ab, indem er heidnische Erinnerungen auslöschte. Als Bonifatius die Donar-Eiche bei Fritzlar fällen ließ, wunderten sich die Germanen, warum Bonifatius nicht vom Blitz getroffen wurde.
Vor den Germanen war dieses Gebiet von den Kelten (Galliern) besiedelt. Deren größter Bau ist die berühmte Glauburg, nicht weit von hier. Die Steinfigur des Keltenfürsten und die Prozessionsstraße sind von Weltruhm. Die Glauburg, in ihrer Monumentalität und in ihren Dimensionen einmalig, war durchgehend von der Jungsteinzeit( vor 7000 Jahren) bis ins Hochmittelalter bewohnt. 1000 Jahre lang hinterließen die Kelten ihre Spuren auf der Erde, sie waren kein einheitliches Volk. Sie einte nur ihre Kultur, der religiöse Glaube, die gemeinsame Sprache im gesamten Europa und das geheime Wissen über Götter und Geister, das nur mündlich weiter gegeben werden durfte. Ihre Druiden waren Heilkundige, Zauberer und weise Ratgeber. Ihre Barden sangen von den Heldentaten der Krieger und Götter, ich jetzt auch.
Samstag 8:00 treten knapp 70 Krieger zum Ultratrail an. Startort vor der Festhalle in Schotten, wo Nudelparty, Expo und alles andere stattfindet. Veranstalter des Laufevents ist der Turn- und Gesangsverein Schotten, da müssen wir grinsen.
Der Ultratrail führt über einen Rundkurs, die kürzeren Läufe nicht, da muss man einen Shuttlebus nehmen. Die maximale Steigung beträgt 20 %, kein Vergleich zu letztem Wochenende, von dem meine entzündeten Sehnen herrühren.
Der Steinhügel, den wir nach wenigen Metern passieren, ist eine Begräbnisstelle der Schotten. Zunächst wanderten die Mönche über die Alpen nach Rom, um sich ein Empfehlungsschreiben vom Papst zu holen. Damit konnten sie dann Krieger, Marketenderinnen und sonstiges Personal anheuern. So entstand ein Tross wie unser jetziger, der sich in einer Reihe über schmale, steile Pfade quält. Die Mönche gaben sich gerade hier die Klinke in die Hand, weil die Straße entlang der Nidda reiche Gebiete verband. Der Vogelsberg ist eigentlich ein Gebiet, kein Singleberg, aber garniert mit zahlreichen Vulkanschloten, auf denen sich heidnische Kultstätten befinden, die wir alle abklappern werden.
Mit unserem Lauf über die Ameisenweide machen wir einen Sprung ins Mittelalter: die Toten vom Galgenberg wurden hier hingeworfen. Erste richtige Erhöhung ist der Rodkopf (gerodeter Berg).
Die Alte Burg wurde auf einem künstlichen Hügel in den Nidda-Auen, etwa um das Jahr 1000 gebaut. Jetzt steht hier ein prächtiger Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert, von einer Patrizierfamilie aus Frankfurt erbaute. Sehr viel älter sind die mit dickem Moos bedeckten Wälle, es sind die Reste einer keltischen Burg. Eigentlich mochten die Kelten die Flussniederungen nicht, aber hier ging es um die Überwachung des Fernweges Istanbul nach Cabo de Sao Vincente. Deswegen war dieser Platz oberhalb der Nidda im Mittelalter der Hinrichtungsplatz, die Gehenkten dienten der Abschreckung für kriminelle Wanderer.
Vorbei geht es am Haus Galgenberg, das vermutlich als Gerichtsgebäude erbaut wurde. Die keltischen Bauten auf dem Sauberg nennt man passenderweise Heidenaltar. Ein Märchen ist, dass Kelten und Germanen aus den Rinnen des Altars Blut tranken. Man trank Bier zu Ehren der Götter.
Die Singeltrails sind sehr schön zu laufen, Anstiege und Abstiege halten sich die Waage, Steine und Wurzeln bleiben in einer freundlichen Anzahl. Die Markierungen mit Bändern und orangener Leuchtkreide sind extrem gut.
Der Mammutbaum wurde vom Förster Carl Schott sr. anlässlich der Geburt seines Sohnes Carl Schott jr. gepflanzt. Der Nachnahme „Schott“ deutet darauf hin, dass ein Mönch Nachfahren hatte. Zwar kannte man das Zölibat (Heiratsverbot) schon bei den Kelten, aber bei der Kirche wurde es erst ab dem Mittelalter vorgeschrieben, um Vererbung von Kirchenbesitz zu verhindern.
Unter uns der Niddastausee. Mein Blick geht aber nach Wingertshausen, wo die kleinste äh… Schaumkussfabrik Deutschlands steht. An der ersten Verpflegungsstelle, bei km 15 gibt es keine Küsse, aber Cola, Wasser, Iso und Früchte. Und die Marathonläufer, die bis zu ihren Start um 11 Uhr hier warten.
Oberhalb von Läunsbach, in dem leckere, gepanzerte Tiere leben, kreuzen wir die Jungfernschneise. Eine Jungfer ist eine unverheiratete Adlige, die Schneise wurde also wahrscheinlich von der jugendlichen Langgräfin angelegt, um zügig zu den Jagdgebieten zu kommen. Das lag am Hohenberg. Von dem laufen wir nun zum Rotenberg, was auch nur wieder ein gerodeter Berg ist.
Auf dem Bonifatiusweg wurde 754 die Leiche von Bonifatius von Mainz zu seiner Wunschruhestätte in das von ihm gegründete Kloster Fulda überführt. Im Dom von Fulda ist das Buch ausgestellt, mit dem sich Bonifatius gegen den Hieb mit einem Vierkantnagel wehrte, der ihn dann aber doch noch tötete, als er die Friesen missionieren wollte. Wir wissen, solche Nägel benutzte man gegen Vampire. Das war jahrhundertelang üblich, um Toten die Auferstehung zu verwehren. Vermutet wird, dass sich Bonifatius absichtlich hat umbringen lassen, um als Märtyrer zu enden. Dem Kloster brachte das reichliche Landschenkungen ein, die das Land wiederum an Landlose zur Rodung verpachteten. So entstanden die Ortsnamen mit „-rode“ am Ende. Jetzt endet der Wald und gibt eine abwechslungsreiche Landschaft frei, mit Steinwällen, Teichen, Streuobstwiesen und Hecken.
In Busenborn überqueren wir passenderweise den Eichelbach und kommen in die Gemarkung „ Über der alten Hufmaid“. Diese Azubine des Schmiedes war eine außergewöhnlich kräftige Frau.
Viel Kraft braucht man für den steilen Aufstieg zum Bilstein (666 m). Es ist nicht der vom Bilsteinmarathon. Bilsteine gibt es viele in Europa. Sie weisen darauf hin, dass dieser Ort dem keltischen Gott Belenus (das Licht) geweiht ist. Dieses Licht kann man sehen, wenn man das Bilsenkraut (bellenium) raucht, das hier reichlich vorhanden ist. Die Lateiner nannten das Kraut apollinaris herba, weil die natürlich ihren Gott des Lichtes, den Apollon sahen.
Der hiesige Bilstein hat wunderbare Basaltsäulen, die in dieser sechseckigen Form kristallisiert sind, als sich die Lava abkühlte. Oben auf den Basaltsäulen steht ein Maibaum, der hier am Samstag vor Pfingsten aufgestellt wird. Der Maibaum ist germanischen Ursprungs und ein Symbol, um die Götter um Fruchtbarkeit zu bitten. Er wurde christianisiert und verbunden mit dem Tag, an dem der Heilige Geist auf die Menschen kam. Die Germanen waren groß gewachsen, ihr langes Haar war hell gebleicht, dank Seife nicht stinkend und obendrein mit Gel gebändigt. Sie trugen Schnurr- und Kinnbärte, bewachten den Maibaum, damit die Mönchskrieger in nicht fällen.
Wir laufen nun hoch auf den Hoherodskopf (763m) mit seinen Skipisten, Loipen, Sommerrodelbahn, Baumwipfelpfad, Kletterwald, Minigiolfanlage, Segelfluggelände und zahlreichen „Sportlern“, die mit Motorrädern hier hoch gekommen sind. Hier ist der zweite VP, km 25.
Von hier oben aus fließen Bäche und Flüsse strahlenförmig hinab, die einen entscheiden sich für die Weser, die andern für die Nidda, also für den Rhein. Mit glasklarem Blick auf die Hochhäuser von Frankfurt trete ich den Abwärtslauf an. Wir kommen zum Kernstück des Vogelsberges, dem Oberwald, der seit 1906 naturbelassen ist. Auf dem Rehberg (670 m) fand vor 10 Jahren eine 300 Meter tiefe geologische Bohrung statt. Man fand erstaunlicherweise vulkanisches Gestein. Der Bergname Hühnerkippel (620m) deutet auf eine Burg der Kelten hin, was sonst. Hühner= Hühne. Auch die Bezeichnung Hunne geht auf das keltische „Hün“ zurück und bedeutet „kleiner Bär“.
Auf der Herchenhainer Höhe passieren wir die Bonifatiuiskanzel. Nein, er hat nicht von hier aus gepredigt, das geschah in den Dörfern, bzw. seine Helfer verlasen dort seine Predigten und Gedichte, die sich weniger um die Bibel, als über die Heilslehre rankten. Die Bonifatiuskanzel ist aus Basaltsäulen und sieht nur so aus, wie eine Kanzel. Teufelsmühle, Spitzer Stein, Teufelskanzel und Teufelsstein sind die Ortsbezeichnungen, die Bonifatius angeordnet hat, um keltische oder germanische Kultstätten in Misskredit zu bringen. Dazu gehörte auch, hier zu sprechen, ohne vom Blitz erschlagen zu werden.
Uhuklippen, Hirschfelsen, Peststein (von 1613) und alte Frankfurter Straße stammen aus neuerer Zeit. Mit einer Länge von 500 Metern und einer Höhe von zehn Metern sind die Uhuklippen ein beindruckendes Naturdenkmal. Es lassen sich in den Felsformationen spannende Figuren oder Gesichter erkennen. Es ist ein ausgehöhlter Lavastrom, der eingebrochen ist. Davor ist der Teufelstisch, an dem der Teufel Karten spielte. Es ist zu vermuten, dass die Mönche diesen Tisch konstruierten, mit welchen Mitteln auch immer.
Es geht entlang des Schwarzen Flusses zum Flösserhaus, dann gelangen wir zum Taufstein mit dem Bismarckturm. Bismarcktürme wurden im Reich viele errichtet, die Burschenschaftler feierten dort ihre Partys bei Leuchtfeuer. Davor liegt der Bonifatiusbrunnen, aus dem das Wasser für die Taufe der bekehrten Heiden geschöpft wurde. Natürlich hat Bonifatius hier oben auf dem keltisch-germanisch heiligen Berg seine Taufen vollzogen, um die Macht von Christus zu demonstrieren. Abwärts geht es, vorbei am Mönchsborn.
Der Geiselstein (773m) ist auch ein Basaltkegel. Er ist ein im Schlot des Vulkanes steckengebliebene Lavaausbruch. Wer hier einen Kompass nutzt, der wird verwundert sein, denn der Geiselstein besteht aus Magnetit, ist also stärker als der Nordpol. Es könnte sein, dass dieser ehemalige Schlot deswegen Geiselstein genannt wird, weil er sämtliche Schwerter anzog.
Die Nidda entspringt im Prinzip am Landgrafenborn. Die eigentliche Quelle der Nidda markiert die Wasserscheide Rhein-Weser und bildete die umstrittene Grenze zwischen den Landgrafen und den Freiherren. Die Landgrafen waren aber gerissen und ließen die Bauern von Schotten einen 600 Meter langen Graben ausheben, um den Landgrafenborn in die Nidda, also in den Rhein umzuleiten. Damit verschob sich die Grenze zugunsten der Landgrafen.
Die eigentliche Niddaquelle, die mit Basaltsteinen eingefasst ist, sehen wir nicht. Von hier fließt die Nidda in westlicher Richtung und mündet nach 105 km bei Höchst in den Main. Am Sieben Ahorn (753 m) entspringen Gilgbach, Streitbach, Ilsbach, Ohm, Graswiesenbach, alte Hasel, Eisenbach und Lauter. Der Vogelsberg ist ein beliebtes Wanderziel, doch Wanderer gehen nicht weit weg von Einkehrmöglichkeiten, so kann ich ungesehen meinen gequälten Lauf durchziehen. Die letzten 10 Kilometer sind ein langer, steiler, trailiger Kampf. Die Trockenwiese, die wir durchlaufen, nennt man Körpesäcker. Das passt zu meinem Zustand.
Der Gackerstein (663 m) ist auch wieder ein Magmaschlot, erscheint heute nur noch als Kuppe mit Gipfelkreuz. Ein wenig Glut wäre mir jetzt recht, es wird nämlich ziemlich kühl. Ich muss bis 19 Uhr im Ziel sein, bin aber gut in der Zeit. Fünf Kilometer vor dem Ziel liegt eine einsame Zeitmessmatte. Der Weg hinunter nach Schotten ist immer noch schmerzhaft steil, ich passiere Gänsmühle, Walkmühle und Langemühle, bevor ein grinsendes Kreidegesicht mich am Ortsrand empfängt.
Dieser Ultralauf hat ungewöhnlich viele trailige, aber laufbare Abschnitte. Mit dem Zeitlimit von 11 Stunden ist er vielleicht nicht für jeden Läufer geeignet. Gut, dass es für solche und andere Fälle den Trail Marathon gibt, der erst um 11 Uhr startet und die beste Alternative zum Berlin Marathon ist.