Es sind schottische Wandermönche, auf die der Name des Startortes zurückgeht. Sie wählten die Heimatlosigkeit und zogen rastlos umher. Weil diese seltsamen Vögel am größten mitteleuropäischen Vulkangebiet wunderbar rastlos umherziehen konnten, nennt man dieses Gebiet Vogelsberg. Schotten liegt 60 Kilometer nördlich von Frankfurt, 40 Kilometer östlich von Gießen.
Ausrichter der Trailveranstaltung ist der Turn- und Gesangsverein. Das Turnen wurde von Wanderturnlehrern gelehrt, die planvoll umherzogen. Gesungen wurde aber erst, nachdem 1888 die ausgewanderten Schotten aus New York 4000 Goldmark für den Bau der Turnhalle sammelten, die in der heutigen Festhalle integriert ist. In der Festhalle ist die Startnummernausgabe, gesungen wird glücklicherweise heute nicht, es ist total ruhig.
Dieses Jahr wähle ich nicht den Ultra, sondern den Marathon, der um 11 Uhr startet. Nicht weil ich Spätaufsteher bin, sondern weil ich mal in Busenborn starten will. Aber dann habe ich doch verpennt, und zwar den Shuttlebus. Der startet nämlich um 9:45 Uhr, um die sechs Kilometer zum Startort zu bewältigen. Diese unmenschliche Shuttlezeit ist kein Plan der Organisation, es liegt am Busunternehmen, das seinen Fahrer pünktlich in die Frühstückspause schicken will.
Nicht nur ich habe den Bus verpasst. Die Dame von der Startnummernausgabe stellt für die Nachzügler einen Konvoi zusammen, wir haben ja Zeit. Der Startort ist nicht direkt in Busenborn, sondern auf einer zugigen Anhöhe, dort wo die Ultraläufer auf uns Kurzstreckler treffen. Einige der Marathonläufer haben wohl das geplante Warm-up mitgemacht, andere wärmen sich die Hände in den Büschen, da es kein Klo gibt. Dafür gibt es einen gasklaren Blick auf die Skyline von Frankfurt. Soll einer mal behaupten, die Erde sei keine Scheibe!
Der Startort ist gleichzeitig VP für die Ultras. Wir betreiben Mundraub, indem wir denen die Salami und den Käse wegfuttern. Wer will, kann seine warmen Klamotten in den Van legen, der sie dann in die Festhalle transportiert. Die Marathonläufer werden der Reihe nach aufgerufen. Wir sind etwa 40, das ist schade, denn der Lauf ist schön, sonst wäre ich nicht zum zweiten Mal hier. Der Veranstalter behält sich vor, unangemeldete Dopingkontrollen durchzuführen. Dann wird vorgelesen, welche Pflichtausrüstung wir dabei haben sollten. Unauffälliges Grinsen.
Los geht´s, hinunter nach Busenborn. Busenborn liegt an der Eichel. Die Eichel ist 18 Kilometer lang und entspringt am Vogelsberg. Busenborn ist ein Haufendorf, durch das gerade das Müllauto und der Eiermann laut klingelnd mit seiner Karre fährt. Wir laufen kurz an der Eichel entlang, als ich eine Stimme höre: „Joe, Joe, mach doch mal ein Foto von uns!“ So entsteht das Foto: „ Fünf Läuferinnen an der Eichel“. Einst stand hier eine Schmiede, die Gemarkung nennt sich „Über der alten Hufmaid“.
Das Lachen vergeht, wir müssen hinauf zur höchsten Erhebung von Busendorf, dem Bilstein. Ja, es gibt viele Bilsteine in Deutschland. Das heißt eigentlich nur, dass auf diesem markanten Berg einst eine Stätte war, an der man den keltischen Gott Bel verehrte. Nicht nur die Kelten und schottischen Wandermönche feierten den Gott des Lichtes, sondern auch die Römer, die diesen Gott Apollon nannten. Dieser Bilstein ist zufällig 666 Meter hoch, als hätten christliche Vermesser absichtlich die Zahl des Teufels dreimal verewigt. Dabei haben die Kelten keine Menschenopfer dargebracht, stattdessen Bier rituell aus Steinrillen getrunken.
Als ich oben ankomme, frage ich mich, wie das an diesem Bilstein möglich war, denn die Basaltplatten stehen hier senkrecht. Es kann also nur sein, dass der Druide auf dem Felsen stehend das Bier in die Spalten schüttete und die Jungmänner unten schmatzend aus den Rillen tranken. Die Geoparkverwaltung schreibt dazu: „Was wir heute am Bilstein beobachten können, stellt den inneren Teil der ehemaligen Spalte dar.“ Im Siebengebirge nennt man sowas nüchtern Basaltschlot. Stehen die Basaltspalten senkrecht, so steht der Maibaum auf dem Gipfel schief. Es ist der einzige Maibaum Deutschlands, der schief aufgestellt wird. Das Fruchtbarkeitszeichen wird am 01. Mai aufgestellt, früher das Lichtfest zu Ehren des keltischen Gottes Bel. Die Erklärung der Geoparkverwaltung, warum der schief sein muss, steht noch aus. Berichtet wird nur von den jährlichen Schlachten der konkurrierenden Dorfbewohner um das Aufstellen des Baumes, aber das ist normal, man braucht ja einen Grund, weswegen man die ganze Nacht den Baum bewachen muss.
Unser Trail führt nun hinunter nach Helgenland (Heiligenland), wo entlang der Strecke einige ungeplünderte Hügelgräber zu sehen sind. Technisch sind die Trails nicht schwierig, sie bewegen sich in dem Bereich „lustig bis pass auf!“
In Breungeshain hatte das Geschlecht der Schencken zu Schweinsberg eine Burg gebaut. Auch wenn das Geschlecht der Schweinsberger mächtig gewesen sein mag, eine Burg damit zu bauen, erscheint mir schier unmöglich. Die Geoparkverwaltung wird mir das vielleicht mal erklären.
Der Hoherodskopf (764) ist schon sichtbar, aber wir umrunden die höchste Erhebung des Vogelsberges erstmal weiträumig. Dafür geht es fantasievoll hoch und runter durch herbstliche Wiesen, eine Streckenführung, die Spaß macht.
Das Betreten des Segelflugplatzes ist uns verboten. Wie man mit einer Piper den Fernmeldeturm treffen kann, bleibt mir ein Rätsel. Dann geht´s wieder runter, um die Skipiste in ihrer gesamten Länge anzugehen. Nicht schlimm, denn schon ist der erste VP oben zu erkennen. Hier oben ist die Wasserscheide zwischen Weser und Rhein.
Der „Erlebnisberg“ wirbt mit Abenteuer für die gesamte Familie. Unser Trail führt an der Sommerrodelbahn hinunter zur Schlitz. Dort gibt es auch noch den Ort Schlitz mit dem Hinterturm, wo 1921 der UFA-Film „Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack“ gedreht wurde. Das Buch ist übrigens wieder aufgelegt worden und die Ortschaft Schlitz überlegt, ein Schlitzmuseum zu eröffnen. Die Schlitz führt uns zur Rehaklinik, die wir gekonnt umlaufen, um zum Hühnerkippel zu gelangen, an dem nicht gehühnert wurde. Hühner= Hühne. Auch die Bezeichnung Hunne geht auf das keltische „Hün“ zurück und bedeutet „kleiner Bär“.
Es ist ein wunderbarer 10 Kilometer langer, gut laufbarer Weg. Am Schwarze Fluss biegen wir ab und nehmen die Wende an der Schutzhütte, um den Schelgesmusenwald zu entern. Dafür verlassen wir den schnellen Weg, nehmen einen, den die Wildschweine richtig trailig gemacht haben. Abstecher zur Teufelsmühle, Spitzen Stein, Teufelskanzel und Teufelsstein, an dem der Teufel Karten spielte. Ortsbezeichnungen, die nicht mehr doppeldeutig sind, sondern von den schottischen Wandermönchen kreiert wurden.
Im Wald entdecken wir immer wieder urige Lavaschlote, wie den Uhustein, an dem man seltsame Fratzen erkennen kann. Ich erkenne, dass mich gerade einige Ultraläufer überholen. Mir fällt es nicht schwer, mich dranzuhängen, auch wenn es aufwärts geht. Es ist alles gut laufbar. Selbst der Hirschtrail, der von Mountainbikern verunstaltet wurde, ist eine Freude. Mehr noch die Langlaufloipen, die durch lichtes Grün führen. Das mag ich. Viel zu fotografieren gibt es jetzt nicht mehr. Es gibt auch keine Cut-Off Zeiten, dafür aber gute Verpflegung alle 10 Kilometer, und vielleicht nächstes Jahr eine Möglichkeit, Eigenverpflegung zu deponieren.
Der Geiselstein (773m) ist auch ein Basaltkegel. Ob innere oder äußere Spalte, es ein steckengebliebener Lavaausbruch. Wer hier einen Kompass nutzt, der wird verwundert sein, denn der Geiselstein besteht aus Magnetit, ist also stärker als der Nordpol. Es könnte sein, dass dieser ehemalige Schlot deswegen Geiselstein genannt wird, weil er sämtliche Schwerter anzog.
Ich ziehe langsam weiter, habe mir bei den 220 Kilometern in Albanien etwas eingefangen, als ich neben den Schuhen der Gastfamilie schlafen musste und das wandert aus den Bronchien nach unten.
Von den Wiesen hier oben wandert eh alles nach unten, wir sind an der Quelle der Nidda, die irgendwann nach Frankfurt kommt, wo mein Trainingsgebiet ist. Die eigentliche Quelle der Nidda markiert die Wasserscheide Rhein-Weser und bildete die umstrittene Grenze zwischen den Landgrafen und den Freiherren. Die Landgrafen waren aber gerissen, ließen die Bauern von Schotten einen 600 Meter langen Graben ausheben, um den Landgrafenborn in die Nidda, also in den Rhein umzuleiten. Damit verschob sich die Grenze zugunsten der Landgrafen. Die Kilometerzahl eines Marathons verschiebt sich nie, es bleiben 42,2 Kilometer.
Der Gackerstein (663 m) ist auch wieder ein Magmaschlot, ein imposanter, moosbewachsener. Nächstes Jahr laufe ich dort hinauf. Nächstes Jahr wir das am 04. Mai sein, dann mach ich den neuen 92 Kilometerlauf, oder wieder die 67. Ich mag diese kleinen Ferkeleien ohne Zeitlimit durch goldige Mittelgebirgslandschaften.