Bei der Hütte werde ich wie ein Spitzenläufer bejubelt. Die wissen bestimmt nicht, dass ich der Letzte bin. Genau gesagt bin ich der Vorletzte, wie sich kurz darauf zeigt. Oberhalb der Alm wartet der Schlussläufer. In seinem Rucksack steckt unübersehbar ein Besen. Noch bin ich sicher, dass ich wie gewohnt auf den letzten Kilometern auch heute wieder einige Läufer überholen werde und dann die ungewohnte rote Laterne abgeben kann.
Bei herrlichem Wetter steigen wir bergauf. Hinter Baad sehen wir nun unter blauem Himmel das Walmendinger Horn. So hätte es schon vor Stunden sein müssen. Über mir sind einige Mountainbiker, die ihre Räder den unbefahrbaren Trail hinauf zum Hohalppass tragen.
Nach dem Pass geht es für einige Stunden immer wieder kurz aufwärts und gleich wieder hinab, ein ständiger Wechsel zwischen Laufen und Gehen, der mir richtig Spaß macht. Unter uns liegt das Lechtal, der Panoramablick hinüber zu den Lechtaler Alpen ist großartig. Links von uns sehen wir den Widderstein. In dieser Bilderbuch-Umgebung fühle ich mich ausgesprochen glücklich. Es ist mir egal, dass ich nun stundenlang in Sichtweite des Besenläufers und des Holländers Frits bleibe. Mal ist Frits 100 oder 200 m vor mir, mal führe ich, oft laufen wir gemeinsam. Lange Zeit folgen wir nun in wunderschöner Landschaft traumhaften Trails, auf denen man oft recht gut vorankommt. Wenn das so weiter geht, dann erreiche ich lange vor Zeitlimit die Fidererpasshütte. Erneuter Irrtum!
Bei der Widdersteinhütte (2009 m) gibt es noch einmal Verpflegung. Während wir Ultratrailer heute beim Ifen und Walmdinger Horn Nebel hatten, liefen die um 11 Uhr in Baad gestarteten Teilnehmer des WalserTrail, deren Strecke mit unserer zweiten Hälfte identisch ist, hier vermutlich im Nebel. Ich kann dagegen nun die herrliche Umgebung voll genießen.
Bei der Mindelheimer Hütte (2013 m) zeigt ein Wegweiser die Wanderzeit bis zur Fidererpasshütte mit 3:15 an . Mist, ich habe maximal 95 Minuten dafür! Zum Glück führt der Trail nun viele Kilometer weit mit abwechselnd wenig Steigung und Gefälle voran. Erst lange Zeit später beginnt der etwa 300 Hm hohe, steile Aufstieg zum Fidererpass (2214 m). Von unten sehe ich, dass oben Leute der Bergwacht stehen, dann wird der Grat über mir vom Nebel verschluckt.
Endlich komme ich oben an – und stehe zu meiner großen Überraschung in Sonnenschein. Über dem Kleinwalsertal erstreckt sich wolkenloser Himmel. Die Lichtstimmung der tief stehenden Sonne ist unglaublich schön. Schon deswegen hat es sich gelohnt, hier so spät anzukommen. Ein kurzes, recht harmloses Stück mit Drahtseilsicherung, dann beginnt ein schneller Abstieg etwa 180 Höhenmeter zur schon zu Greifen nahen Hütte, von wo aus uns viele Leute zuschauen und uns anfeuern. Noch ein paar Meter bergauf, dann ist es geschafft. „Schnell über die Zeitmessmatte!“ fordert mich jemand auf. Ich weiß, wie knapp ich es dieses Mal geschafft habe. 20:28 Uhr, zwei Minuten vor Cut Off piept es.
Wie viele Alpenvereinshütten hatte auch diese lange Zeit wegen gestiegener Umweltauflagen mit den Behörden Ärger wegen dem Abwasser. Ein teuer und aufwändig gebauter Abwasserbehälter erwies sich schon nach einem Jahr als Fehlkonstruktion. Erst nachdem 2002 eine 5 km lange Abwasserleitung gegraben wurde, konnte dieses Problem gelöst werden.
Das Abendlicht ist hier so schön, dass ich am liebsten eine Weile bleiben würde, aber nach ein paar Bissen von der vielseitigen Verpflegungsauswahl laufen wir weiter. Ich bin davon überzeugt, dass nun nichts mehr schief gehen kann. Abgesehen von 200 Höhenmetern Aufstieg zur Kanzelwand geht es nun fast nur noch bergab. Da ich ein besserer Bergab- als Bergaufläufer bin, sollte jetzt die Zielschlusszeit um 23 Uhr kein Problem mehr darstellen.
Je weiter ich komme, desto roter färbt die Sonne die Berge. Wunderbar! Der Abstieg ist hier gut und schnell laufbar. Bald sehe ich vor mir das Kleinwalsertal, dahinter der Hohe Ifen und das Walmendinger Horn, in der Ferne Baad, also viele Stationen des heutigen Tages.
Meine Freude erhält einen starken Dämpfer, als der Schlussläufer sagt, dass wir aus Sicherheitsgründen nun auf den Zwischenaufstieg zur Kanzelwand verzichten und von der Kuhgehrenalm direkt ins Tal absteigen werden. Inzwischen ist es Zeit für die Stirnlampe. Unter uns schimmern im Tal die Lichter der Dörfer.
Mal auf leichten Trails, mal steiler, laufen wir nun begleitet von einem Streckenposten zu viert bergab. Oberhalb von Hirschegg erreichen wir eine Straße. Noch ein leichter Gegenanstieg, dann kommen wir nach Riezlern, wo wir dann aus der falschen Richtung das Ziel erreichen.
Trotz diesem ungeplanten Finale hat mir dieser Tag außerordentlich gut gefallen. Die sehr außergewöhnliche Karst-Szenerie beim Gottesacker Plateau, viele tolle Trails, eine Alpenlandschaft wie aus dem Bilderbuch, die mit viel Herzblut durchgeführte Organisation des Tri-Team Kleinwalsertal – was will man mehr. Die Premiere ist geglückt. Das Zeitlimit könnte man noch etwas überarbeiten, aber eine Finisherquote von 78 % ist trotz allem höher als manches, was man in letzter Zeit anderswo erlebte.
Alles in allem sage ich aus voller Überzeugung, dass trittsichere Läufer diesen Ultratrail unbedingt in ihre Sammlung aufnehmen sollten, Neulinge dagegen mit dem leichteren WalserTrail oder auch nur dem schönen WiddersteinTrail bestens bedient sind.
Der nächste Tag wäre für den Lauf perfekt gewesen. Postkartenwetter! Jetzt kann ich Euch zeigen, wie die Strecke gestern bei gute Wetter ausgesehen hätte. Um neun Uhr fahre ich mit der Gondelbahn hinauf zum Walmdinger Horn. Das erste Foto zeigt links die Kanzelwand, rechts unterhalb des spitzen Bergzackens die Fidererpasshütte. Es folgen die Sicht hinab nach Baad und weitere Ausblicke.
Anschließend fahre ich mit dem Sessellift zur Ifenhütte. Da ich keinen Muskelkater habe, marschiere ich schnell die 500 Höhenmeter hinauf zum Hahnenköpfle. Welche Überraschung! Genau hier treffe ich heute Elke wieder, die mich an dieser Stelle vor etwa 24 Stunden vor einem Aufstieg in die falsche Richtung bewahrte. Bei Sonnenschein sieht es auch hier oben viel schöner aus. Dann renne ich wieder hinab zu Lift. Am Mittag fotografiere ich dann noch den Streckenabschnitt bei der Kanzelwand, wie ihn gestern die schnellen Läufer gesehen haben.
So, genug der schönen Bilder! Habt Ihr noch Zweifel, was nächstes Jahr in Eure Auswahl muss?
Und hier sind zum Schluss noch die Sieger:
WalserUltraTrail - 76 Finisher
Schnellster Mann: Anton Philipp, 08:53
Schnellste Frau: Andrea Feuerstein-Rauch, 11:08
WalserTrail - 181 Finisher
Schnellster Mann: Mathäus Jusczcak, 03:31
Schnellste Frau: Caroline Kopp, 04:12
WiddersteinTrail - 352 Finisher
Schnellster Mann: Philipp Schädler, 01:17
Schnellste Frau: Elke Keller, 01:47
WalserTrailChallenge Pro - 28 Finisher
Schnellster Mann: Josef Vogt, 10:41
Schnellste Frau: Ivonne Scrinzi, 14:05
WalserTrailChallenge Classic - 103 Finisher
Schnellster Mann: Mathäus Jusczak, 04:57
Schnellste Frau: Rabea Brittain, 06:21
30.07.16 | Nümmr-Springer in der schönsten Sackgasse der Alpen |
Joe Kelbel |