Da joggt und läuft man jahraus, jahrein durch die Wälder des rheinischen Westerwalds rund um Waldbreitbach und weiß deren Qualität zu schätzen. Weiß auch, daß andere Läufer nicht mit ganz so viel Natur gesegnet sind und kennt eine ganze Reihe von Laufenthusiasten, die den Stadtläufen abgeschworen haben und sich nur noch in Feld und Flur bewegen.
Die eigene Heimat genau diesen Laufkameraden zu zeigen, war für meinen Freund Josef und mich vor drei Jahren der Anlaß, den Wiedtal-Ultratrail ins Leben zu rufen. Die Idee, möglichst viele, schöne Trailpassagen miteinander in Verbindung zu bringen und diese gemeinsam in einem Gruppenlauf bei geringstmöglichem organisatorischem Aufwand miteinander unter die Füße zu nehmen, war die Geburtsstunde des WUT. 65 km und 2.100 Höhenmeter, nie weiter als zehn km von Waldbreitbach, meinem Heimatdorf, entfernt, lautet also zum vierten Mal die Herausforderung.
Als ich um 7 Uhr zur Sporthalle komme, ist meine Verpflegungsmannschaft schon da. Josef, ehemaliger 2:30-Marathonläufer, sein Radkumpel Willi und Ultraläufer Jochen wissen, was das Läuferherz an einem kalten Morgen erfreut. Daher gibt es neben den Startunterlagen auch schon einen heißen Kaffee für alle. Meine Frau Elke ist mit unserem größeren Pkw ebenfalls dabei, unterstützt die Verpflegungsausgabe und bietet Fahrservice für ggf. ausscheidende Teilnehmer an.
Service, dieses Wort wird bei uns groß geschrieben. Die Sparkasse Neuwied hat uns ihren Bus samt Anhänger zur Verfügung gestellt, daher kann jeder auch einen Rucksack mit den Dingen mitgeben, die er meint, unterwegs brauchen zu können. Gebrauchen können wir alle bei leichtem Frost auch die warmen Worte unseres (noch?) nicht laufenden Ortsbürgermeisters, Martin Lerbs, der uns trotz der samstäglich frühen Morgenstunde gut gelaunt auf die Reise schießt.
Auf der nagelneuen Wiedbrücke überqueren wir erstmals die Namensgeberin unseres Laufs und biegen direkt, abweichend vom Verlauf der letzten Jahre, auf einen ersten, kurzen Trail ein, der uns auf Holzschnitzelboden über Serpentinen zum Hausener Franziskanerkloster bringt. Wir passieren eine rund 100 Jahre alte, der Mutter Gottes geweihte Felsengrotte, die vor wenigen Jahren in einer Gemeinschaftsaktion vor dem endgültigen Verfall gerettet worden war. Vorbei am Hausener Kloster, einer Gemeinschaft weltlicher Brüder, die sich seit Jahrhunderten v.a. um die Krankenpflege verdient machen, streben wir schon dem Malberg zu. Auf halber Höhe haben wir einen ersten schönen Blick auf Hausen/Wied und Glockscheid auf der gegenüberliegenden Wiedhöhe.
Erstmals in den Gehschritt verfallen, zeigt sich die heutige Art der Fortbewegung: Steigungen werden gegangen, im Flachen wird gejoggt, bergab gelaufen. So werden große Distanzen auch für Marathon- und Ultranovizen machbar, wir haben immer welche dabei. Der einstmals schöne, schmale Waldweg, dessen weichen Boden ich immer geschätzt habe, ist durch massive Holzabfuhr völlig zerstört, es hat sich aufgrund des wochenlangen Regens eine Seenlandschaft gebildet. Die Läufer verteilen sich im Wald, sie sehen aus, wie eine Hundertschaft Bereitschaftspolizisten in Bunt. Schwer sind die Wege und tief, das wird heute an sehr vielen Stellen sehr viel Kraft fordern. Der eine oder andere wird dem auch Tribut zu zollen haben.
Aus dem Wald herausgekommen, befinden wir uns an der Skihütte Malberg, dem Ziel unseres Malberglaufs (Freitag, 5. August, 18:30 Uhr). Von hier aus genießen wir die traumhafte Aussicht ins Wiedtal; der See im ehemaligen Malbergkopf ist nicht minder attraktiv. Der viele Basalt, mit dem man über Jahrzehnte den Berg aushöhlte, bildet zu großen Teilen den Hindenburgdamm für die Eisenbahn zwischen Niebüll und Sylt. Ein netter Wurzelweg führt weiter auf drei km Waldautobahn, vorbei an der Kapelle Gebildseichhäuschen (deren Dachstuhl ist aus der Krone einer Eiche gebildet worden), der Turnerhütte Rheinbrohl und der Kaisereiche, die Ihro Gnaden Willi II hier eigenhändig gepflanzt haben soll, bergab ins Nonnenbachtal. Wieder ganz unten angekommen, zeigt sich auch dem Letzten, daß der heutige Sinn des Bergablaufens nur der ist, anschließend sofort erneut die nächste Höhe zu erklimmen.
Es ist wirklich jede Menge Holz gemacht und die Wege entsprechend malträtiert worden. Ich bin froh, mit gestandenen Trailern beiderlei Geschlechts unterwegs zu sein, denen solche Untergründe keinerlei Kopfzerbrechen bereiten. Auf der Höhe folgt die nächste Geschichtsstunde an einer großen Wiesenfläche mitten im Wald. Nur noch der Gedenkstein an die Gefallenen der Weltkriege erinnert an den ehemaligen Rheinbrohler Ortsteil Rockenfeld, der hier bis in die sechziger Jahre stand und dann komplett geräumt wurde. Kaum noch jemand wohnte damals hier, fast alle Rockenfelder waren aus der Einöde weggezogen. Manche machten ihr Glück, wie die Rockefellers in den USA. Die Frage nach der Herkunft dieses Namens hätte mir bei Günther Jauch 500.000 € eingebracht. Hätte, hätte, Fahrradkette, ich saß nicht auf dem Stuhl.
Ein langer, langer Weg bringt uns, steil bergab, auf den km 14-16 wieder ins Wiedtal. Das Tempo bekommt mir heute gar nicht, die vordere Oberschenkelmuskulatur muß viel arbeiten. Aber das zum großen Teil deutlich jüngere Gemüse um mich herum springt frohgemut umher, also lasse ich mich nicht lumpen und mache mit. Am Wanderparkplatz in Datzeroth angekommen, gibt es Grund zur Freude, denn unser Verpflegungsteam hat zum ersten Mal aufgetischt. Verschiedene warme Getränke und Snacks gilt es in zehn Minuten zu vertilgen, bevor der Sklaventreiber in mir mit Hilfe der Trillerpfeife zum Aufbruch drängt.