Auf einer längeren Abwärtspassage auf einem asphaltierten Sträßlein durch weite, saftig grüne Wiesen können wir es so richtig rollen lassen. So ganz anders und doch auch schön ist dieses Wegstück, reicht doch der sonst so limitierte Blick weit in die Ferne, bis hin zu den am südlichen Horizont aus dem Nebel in den Tälern herausragenden Gebirgsstock der Karawanken. Im Dörflein Pirk (km 8,9) hat die Gemütlichkeit ein Ende. Durch dichtes Busch- und Waldwerk schlängelt sich der Pfad empor. Bei den meisten reift spätestens hier die Erkenntnis, dass es im engagierten Marschschritt fast genau so schnell, aber kräfteschonender bergan geht.
Der Himmel weitet sich über uns, als wir den Pirker Kogel (666 m ÜNN, km 10) erreichen, nur um sogleich auf einem extrem steilen und wurzeligen Pfad wieder gen Tal geschickt zu werden. Höchste Konzentration ist angesagt. Auf dem weiteren Weg hinab dürfen wir uns mit einem erneuten Höhenblick auf den Wörthersee ablenken. Blickfang ist jedoch weniger der See, als mehr der auf dem Pyramidenkogel am jenseitigen Ufer thronende, gewaltige Gipfelturm, der schier aus einer anderen Galaxie zu stammen scheint. Wolkenumwabert wirkt er noch geheimnisvoller. 30 km müssen wir aber noch bewältigen, ehe wir dieses Werk aus der Nähe in Augenschein nehmen können.
Erneut verschluckt uns der Wald. Eins werden wir mit der Natur. Ohne die gute Markierung würde ich mich hoffnungslos verlaufen im Labyrinth der Waldwege, die oft jäh die Richtung wechseln und mir jegliche Orientierung rauben. Aufpassen muss man dennoch, dass man nicht eine der rosafarbenen Markierungen – Punkte, Pfeile, Striche – auf Boden und Steinen oder eines der flatternden Trassierbänder übersieht. Und da sich das Läuferband schon gehörig in die Länge gezogen hat, kann man sich auch nicht immer auf einen Vordermann verlassen.
In zahllosen Facetten offenbaren sich der Wald und die Pfade, denen wir folgen. An manchen Stellen sind Bäume, Büsche und Farne dschungelartig derart verwachsen, dass es selbst am Tag zu dunkel für verwackelfreie Fotos wird. An anderen Stellen wiederum lassen raumgreifende große Laubbäume das Sonnenlicht durch das frühlingsfrisch grün leuchtende Blätterdach passieren und einen flirrenden Lichtschattenteppich auf dem Boden entstehen. Der von Laub und Nadeln des Vorjahrs bedeckte humusreiche Boden ist oft butterweich zu belaufen, wäre da nicht das immer wieder grobe Wurzelwerk, das einem bei jedem Schritt einen abschätzenden Gedanken, wohin er zu führen ist, abnötigt. Aber ich will nicht klagen. Denn genau das ist es, warum ich hier bin. Und was geboten wird, ist Trail vom Feinsten.
Etwa bei km 17 öffnet sich der Wald erneut gen See zu dem vielleicht schönsten Panorama, das der Trail vom Nordufer aus bietet. Unter uns blicke ich auf Pörtschach und den Mittelteil des Wörthersees. Dahinter zieht sich jetzt fast wolkenlos die Kette der bis auf 2.238 m schroff aufsteigenden Karawankengipfel hin, über deren Grat die österreichisch-slowenische Grenze verläuft.
Aber wie immer: Diese Ausblicke haben kaum mehr als "Flash"-Charakter, schon verschwinden wir wieder im Meer der Baumstämme, schleichen auf verwunschenen Pfade aufwärts und galoppieren abwärts. Üppig aufgetischt wird an der dritten Verpflegungsstation am Thadeushof bei km 19. Ich weiß gar nicht, wo ich hingreifen soll: Dreierlei Obst und Schokolade, Käsebrote und Nüsse, diverse Energieriegel, Cola und Red Bull. Ach ja: Wasser und Isotonisches gibt es natürlich auch. Das kann man sich aus großen Kanistern in sein mitgeführtes Trinkgefäß – Becher oder Flasche gehören aus ökologischen Gründen neben dem Handy zum Pflichtgepäck - abfüllen. Bei Spezialgetränken wie etwa Cola wird allerdings eine Ausnahme gemacht: Die gibt es weiterhin im Pappbecher vor Ort.
Weiter geht es durch den schier undurchdringlichen Wald. Mit einem Mal stehen wir im Ufer eines größeren Sees. Nein, der Wörthersee ist es nicht, sondern 160 Meter höher auf einem Höhenrücken gelegen der Forstsee (km 21,7). Einsam und still ist er, vollständig von Wald umschlossen. Die hohen Berge am Horizont sind dieses Mal die Hohen Tauern. Nach Kanada oder Skandinavien fühlt man sich versetzt. Dem Nordufer des Forstsees folgen wir, auch wenn die Bäume am Ufer nur selten einen weiteren Blick über das Wasser gestatten.
Tendeziell abwärts geht es auf den nächsten Kilometern. Immer mehr moosüberwucherte Felsen säumen den Weg. Wäre es tropisch schwülheiß, würde man wohl von "grüner Hölle" sprechen. Denn grün ist (fast) alles, wohin man auch blickt, ein Grün in allen Nuancen: hell, dunkel, leuchtend, matt. Aber dieses Grünspektakel ist hier kein Synonym für Qual, sondern für ein wundervolles Landschaftserlebnis in überaus angenehmer Temperierung, schützt uns doch das dichte Blätterdach vor der intensiven Spätsommersonne.
Aus einer tief eingeschnittenen Rinne heraus vollzieht unser Pfad eine Spitzkehre. Sie führt uns direkt hinein in die sogenannte Römerschlucht. Ein ausgesetzer, verwinkelter, steinig steiler Pfad führt entlang eines kleinen Wildbachs. Wild überwucherte, unberührte Felswände flankieren den Bach zu beiden Seiten. Von wilder Schönheit ist dieser Streckenabschnitt, vielleicht sogar der reizvollste unseres Kurses. Ich lasse mir etwas mehr Zeit, doch viel zu schnell endet diese Passage. An der Autobahn. Wie vor den Kopf gestoßen wird man durch den monströsen Betonklotz des Brückenaufbaus, der brachial die Natur durchschneidet. Über uns donnert der Verkehr und jenseits der Brücke, die wir unterqueren, begrüßt uns schon Velden. Das westliche Ende des Wörthersees ist erreicht.