Velden – kein Ort repräsentiert den Wörthersee so wie dieser. Wörthersee ohne Velden ist ebenso undenkbar wie umgekehrt. Velden ist der bekannteste, mondänste und wohl auch schönste Ort am See. Alte Villen, exklusive Hotels und Strandbäder, chice Shops, hier fühlt sich die "Schicki-Micki-Welt" zu Hause. Durch stille, gepflegte Straßen am Ortsrand arbeiten wir uns in Richtung Zentrum vor. Das Zentrum, das ist letztlich die Gegend um Seepromenade und -corso. Direkt am See und am Rande des Kurparks ist bei km 27 unter Baldachinen unser (Fast)Halbzeit-Buffet angerichtet. Sogar ein supergesundes Dinkelsüppchen steht im Angebot; meinen Geschmacksnerv trifft sie aber nicht so ganz.
Bis 12:30 Uhr muss man hier eingelaufen sein, sonst ist das Rennen beendet. Ganz gut in der Zeit liege ich also, als ich um kurz nach 11 Uhr eintrudle. Schon um 10:30 Uhr sind von hier die Läufer des 30K gestartet, aber die sind nun schon über alle Berge.
Schon von der Labestation aus sichtbar ist das Wahrzeichen Veldens, das wir kaum 200 Meter weiter passieren: das Schloss. Bereits im 16.Jahrhundert angelegt, häufig um- und ausgebaut wurde der prunkvolle Renaissancebau mit den vier Ecktürmen. Überregional berühmt wurde das Schloss aber erst Anfang der 90er-Jahre, als Roy Black selig vor laufender Kamera im "Schloss am Wörthersee" sein Unwesen trieb. Heute kann man hier für viel Geld überaus exquisit nächtigen.
Etwa zwei Kilometer folgen wir auf bequemem Fußweg unmittelbar dem Seeufer. Marinas und exklusive Strandbäder geben sich die Klinke, Bataillone von Liegestühlen stehen auf den Holzstegen bereit. Doch sie sind alle .... leer. Mit Erstaunen muss ich feststellen, dass die Saison in Velden schon gelaufen ist.
Irgendwann habe ich genug vom Asphalt und so freue ich mich, dass es ab Cap Wörth hinter der wundervoll gelegenen Schlossvilla Miralago wieder weg vom Ufer hinein in den Wald geht. Die folgenden Kilometer sind profilmäßig im Vergleich zu dem, was uns am Nordufer abverlangt wurde, vergleichsweise harmlos. Wir folgen einem kleinen Bach in ein verwunschenes Tal hinein. Die Sonne strahlt durch das Blätterdach, das gurgelnde Wasser glänzt, die Blätter leuchten – und ich träume zu viel. Denn auf einmal stehe ich mutterseelenallein im Wald, niemand vor, niemand hinter mir, und vor allem: von einer Streckenmarkierung keine Spur. Jetzt hat es mich doch erwischt, ich bin ab vom Kurs. Da hilft nur eines: zurück laufen. Erleichtert bin ich dann doch, dass ich nach einem Weilchen einen anderen Läufer in der Ferne erspähe. Der erkennt mein Missgeschick sofort und weist mit der Hand in die richtige Richtung.
Doch das Aufreger-Highlight steht mir noch bevor. Ganz gemütlich trabe ich mit einer anderen Läuferin einen morastigen Pfad dahin. Urplötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, kommt er über uns: ein laut brummender Schwarm. Ich weiß im ersten Moment gar nicht, was los ist. Doch als ich einen brennenden Schmerz am Hals spüre, ahne ich es schon. Mit wild fuchtelnden Armen jagen wir davon, bis wir uns einigermaßen in Sicherheit wähnen. Meine Mitläuferin hat es am Kopf erwischt und wenig später, an der Labestelle in Auen (km 31), weiß ich, dass wir keinesfalls die einzigen Opfer sind. Ein völlig aus dem Häuschen geratener, aggressiver Hornissenschwarm fällt über jeden vorbeikommenden Läufer her und fast niemanden gelingt es, da unbeschadet heraus zu kommen. Den ankommenden Läufern sieht man sofort an, wo es sie erwischt hat. Die meisten halten sich den Kopf und versuchen mit kaltem Wasser, das Brennen zu kühlen. Am ärgsten erwischt es einen Läufer mit zehn Stichen. Da ein Kollaps befüchtet wird, kommt vorsichtshalber gar ein Rettungshubschrauber. Im Ziel höre ich aber später, dass auch er die Attacke gut überstanden hat.
Alle anderen hindert das nicht am Weiterlaufen. So mancher nimmt es mit Galgenhumor ("Dann habe ich wenigstens eine Ausrede, wenn ich eine Stunde länger brauche"). Und auch ich merke: Das Weiterlaufen hilft mir, lenkt mich ab. Ich frage mich nur, wo eigentlich das 30 km-Schild bleibt. Alle fünf Kilometer waren bisher markiert, doch dieses Schild will partout nicht kommen. Doch auch für dieses Rätsel gibt es eine Lösung: Denn auf dem nächsten Schild, das ich sehe, steht: 25 km und davor die Worte "nur mehr". Hat da etwa ein Psychologe seine Finger im Spiel? Ab jetzt werden die Kilometer also herunter gezählt.
Der grün schimmernde Trattnigteich bei km 36 signalisiert uns: nun heißt es Energien zu mobilisieren. Der Gipfelsturm auf den Pyramidenkogel steht an. Durch eine ausgewaschene, altlaubgefüllte Rinne geht es durch herrlichen Laubwald. Je höher wir kommen, desto steiniger und wurzeliger wird der Untergrund. Fast schon kunstvoll wirkt es, wie die Wurzeln bisweilen verschlungen umher mäandern. Der Pfad mündet in eine Forststraße, die zwar bequemer, aber deutlich langweiliger ist. Steil ist diese Straße nicht, aber sie zieht sich Serpentine um Serpentine nicht enden wollend in die Höhe. Nur selten kann ich mich aufraffen, aus dem Marsch in leichten Trab zu verfallen, vor allem dann, wenn ich an einer Wandergruppe vorbei muss. Ganz schön albern.
Der Gipfel des Pyramidenkogel bei km 40,4 ist mit 850 m üNN die höchste Erhebung direkt am Wörthersee. Das allein ist allerdings nicht wirklich beeindruckend. Doch was dem Gipfel aufgepflanzt wurde, das nötigt wohl jedem ein "Wow!" ab. Denn gekrönt wird er von einem eigen- wie einzigartigen Bauwerk: dem welthöchsten Holzaussichtsturm. 100 m ist er hoch, inklusive Antenne. Erst am 20.06.2013 wurde er eröffnet, nachdem der alte Turm vor kaum einem Jahr gesprengt wurde. 11 Ebenen mit sechs Aussichtsplattformen weist die futuristisch spektakulär geformte, schraubenartig gedrehte Holz-Stahl-Konstruktion auf. Die höchste Aussichtsebene liegt 72 m hoch und aus 52 m Höhe kann man per Rutsche nach unten gleiten. Ein echter Hingucker!
Und so kann auch ich meinen Blick nicht von dem Turm wenden, als ich ihn endlich über den Baumwipfeln empor spitzen sehe. Dass ich nicht allein beeindruckt bin, belegen Heerscharen von Ausflügler auf dem Gipfelplateau, die zumeist aber bequem per Auto angereist sind. In einem stillen Ecklein mit wundervollem Blick hinab auf den See und die ihn wie grüne Wellen umgebenden Hügel ist der einmal mehr vorzüglich ausgestattete Versorgungsposten aufgestellt. Feststellen darf ich, dass Würstel und Käse zu Red Bull-Cola bei einem solchen Lauf eine durchaus leckere Kombination sein können.
Zunächst auf einem breiten Forstweg, dann auf immer schmaleren, wurzeligen Pfaden geht es durch den Wald Kilometer um Kilometer hinab ins Tal. In Reifnitz (km 45,8) mit seinem hübschen, auf einer Halbinsel im See thronenden Schloss sind wir schon fast wieder auf Wörthersee-Niveau.
Doch wer denkt, jetzt seien nur noch ein paar Kilometer bis ins Ziel runterzureißen, der täuscht sich gründlich. Denn Traillaufen in profiliertem Gelände ist am Wörthersee von Anfang bis (fast) zum Ende angesagt. Und das macht den Trail anspruchsvoller als so mancher denken mag.
Konkret bedeutet das: Einmal mehr geht es aufwärts. Unser nächstes Zwischenziel liegt versteckt in einem Naturschutzgebiet: Die Spintikteiche (km 50). Verwunschen wirken die verästelten Gewässer inmitten einer unberührten Urlandschaft. Tief senken sich die Zweige der Bäume über das Wasser. Wild romantisch ist auch die Lage des letzten Verpflegungsposten. Von hier schlängelt sich unser Pfad in zahllosen Kurven um und zwischen den Teichen hindurch.
Ein smileygarniertes Schild kurz vor km 52 verkündet schließlich: "... von nun an geht´s bergab". Dazu kann ich nur sagen: Vergess es! Ein Blick zwischen den Bäumen hindurch könnte zwar Anlass zu Vermutung geben, dass Klagenfurt und damit das Ziel gar nicht mehr weit sind. Doch der Trail zieht sich, wendet sich gar in einem weiten Bogen ab vom See. Und das weiterhin in munterem Auf und Ab. Meiner Wortwahl mag man schon anmerken: Ich habe genug für heute. Aber danach geht es nicht. Mehr schlecht als recht schleppe ich mich durch den Wald und ergebe mich meinem Schicksal.
Aber irgendwann ist es dann doch so weit. Der Pfad endet auf einer Straße, aber noch immer sind es knapp zwei Kilometer ins Ziel. Auf langgezogenen Nebenstraßen trabe ich langsam durch die stillen Außenbezirke, folge ein Stück dem Wörtherseekanal und ziehe dann einsam hinter dem Strandbad vorbei. Aber zumindest weiß ich nun: es ist geschafft.
Nur im Abstand von mehreren Minuten tröpfeln die Finisher ins Ziel. Doch womit der Veranstalter die einsamen Läufer nach 57 bewältigten Kilometern empfängt, lässt niemanden kalt. Schon entlang der Seepromenade laufend höre ich laute Musik von der Seebühne und meinen Namen über den Äther schallen. Das Klatschen der die Nachmittagssonne an der Promenade genießenden Besucher begleitet mich bis zu der im See thronenden Seebühne. Ein letzter Schlenker und ich bin mitten drauf. Roter Teppich ist ausgelegt, überspannt von farbenfrohen Zielbögen und flankiert von flatternden Fahnen. Um mich herum blitzt das Wasser in der Spätnachmittagssonne. Was für ein Finish! Ein wundervoller Abschluss eines wundervollen Laufs.
Aber die Show ist längst noch nicht zu Ende. Kurz vor 17 Uhr füllt sich die Tribüne mit immer mehr Menschen. Denn es gilt, den letzten Einläufer zu begrüßen, der es vor dem Cut off um 17 Uhr ins Ziel schafft. Der Zielmoderator heizt die Stimmung an und als dann tatsächlich der Letzte einläuft, weiß der im allgemeinen Jubelsturm wahrscheinlich gar nicht so recht, wie ihm geschieht. Auch die gleich anschließende Siegerehrung für alle Läufe und Altersklassen ist von einer ausgelassenen Stimmung getragen, wie ich es selten erlebt habe. Wörthersee – ich komme wieder!
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