Franz Joseph, verlegte während der Sommermonate fast den ganzen Wiener Hofstaat nach Bad Ischl. Der Kaiser höchstpersönlich hat hier die Sommerfrische eingeführt und alles was in Wien Rang und Namen hatte, folgte dem kaiserlichen Vorbild. Und so auch heute wir. Um 8:30 Uhr eröffnet der Pfarrer in der Wallfahrtskirche von St. Wolfgang für die 27 Kilometerläufer den Läufergottesdienst. Zur gleichen Zeit schließt sich für uns die Tür. Nicht an der Kutsche, wie zu Kaisers Zeiten, aber die des Shuttle-Busses. Dieser bringt uns in 30 Minuten von St. Wolfgang nach Bad Ischl, den berühmten Kurort der Sommerfrische, wo so mancher schon sein Zipperlein kurierte. Keine Angst, wir sind heute nicht als Sissi- und Franz-Double unterwegs. Hier treffen wir auch Martin, der wie der Kaiser aus Wien angereist ist. So manche kalte Nacht und so manchen schnarchenden Lauf-Kollegen im Berberzelt mitten in der Sahara haben wir gemeinsam durchgestanden (siehe m4you Bericht).
Gemächlich lassen wir es angehen, schlendern in dem „Kaiser-Ambiente“ zwischen Café, Kurmittelhaus und Trinkhalle hin und her. Erst kurz vor dem Startschuss füllt sich langsam der Startbereich. Es ist 9:25 Uhr, der Startschuss fällt kaum hörbar. Alles läuft, also geht es wohl los. Das historische Ambiente beflügelt. Guten Morgen, Bad Ischl. Frühe Spaziergänger wundern sich über fast 200 Läufer, die weder zu einer Seniorenfreizeit noch zu einer japanischen Reisegruppe gehören. Wir laufen an eleganten Häuserfassaden, feinen Restaurants und Cafés vorbei.
Weiter an der Promenade. Neu gepflanzte Bäume sind zu sehen. Kaiser-Linden, was denn sonst? Über dem Nebel strahlt der Himmel in kaiserlichem Blau wie im Jahre 1853, als Österreichs Kaiser Franz Joseph zur Sommerfrische in Bad Ischl weilte und sich dabei in die 15jährige Elisabeth Amalie Eugenie, die spätere Kaiserin von Österreich-Ungarn und Herzogin in Bayern, kurz: Sisi, verliebte. Am Nordufer der Ischl befindet sich die Kaiservilla, einstige Sommerresidenz Kaiser Franz Josefs. Man sagt, er hätte in Bad Ischl annähernd 60 (!) Sommerfrischen verbracht und auch von dort das gesamte Reich regiert. Der Schreibtisch, an dem er die Kriegserklärung an Serbien im Juli 1914 unterschrieb, löste den Ersten Weltkrieg aus. Eine Kopie des verhängnisvollen Manifests "An Meine Völker", befindet sich auf diesem Schreibtisch.
Wer es sich leisten konnte, ließ sich eine eigene Villa am Seeufer errichten. Wer nicht, logierte in Gasthäusern oder in Bauernhöfen. Wir laufen vorbei an kleinen Geschäften, an einer Apotheke ist mit Leuchtziffern zu lesen: 6 Grad (im Schatten). Recht schnell dünnt die Stadt aus. Die Häuser werden weniger und die Abstände zwischen ihnen größer. Schon nach etwa einem Kilometer laufen wir nicht mehr in der Masse, sondern hinter einander in einer Reihe auf den Salzkammergut-Radweg. Flussaufwärts führt der Weg parallel entlang der rauschenden Ischl über einem fast zwei Kilometer langen Trampelpfad. Überholen ist kaum möglich. Auf einem schmalen Dammweg geht es weiter. Vorbei an Wohnhäusern der Ischler und immer wieder über kleine Holzbrückchen. Nach etwas mehr als drei Kilometern entfernen wir uns von der Ischl und laufen über einen Wiesenweg in der wärmenden Sonne.
Weiter nach Pfandl geht es über einen ersten leichten Anstieg und am Ortsausgang schon wieder hinunter. Auf diesem ersten Marathon-Teilstück ist die Strecke teilweise für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Es sind aber auch kaum Autofahrer unterwegs, dafür umso mehr Kirchgänger. Klar, dass wir Läufer da am frühen Morgen kaum jemanden überraschen können. Allenfalls die Kühe schauen verdutzt, immer dann, wenn ein Golfball vom Hang oberhalb ihrer Weidefläche auf einem dunklen Fladen einschlägt. Jetzt jedenfalls ist kein Golfer zu sehen; es ist ja auch noch vor 10:00 Uhr. Die Gemeindegrenze Ischl-St. Wolfgang ist erreicht und über nicht zehrende Anstiege führt die Straße weiter hinauf. Kilometer fünf und das Gasthaus Rega mit der zweiten Labestation ist erreicht. Weiter laufen wir über sanfte Geländewellen. Es ist schon ein wahrhaft kaiserliches Vergnügen.
Ganz in weißen Schleiern gehüllt liegt der See, umrahmt von dem schönen Gebirge. Stimmungsvoller geht es nicht, das dachte ich zumindest bis dahin. Der ein oder andere Läufer sucht bereits auf den ersten Metern zwischenmenschlichen Kontakt. Die meisten haben aber nur sich selbst im Kopf und reden konsequent aneinander vorbei. Und ja, es wird eine ganze Menge gequasselt von „Bestzeiten“ und „nie dagewesenen Läufen“. Ganz anders Jürgen. Schon mehrmals in New York beim Marathon gestartet, wurde ihm gestern per E-Mail mitgeteilt, dass er zum Fahnenträger der Deutschlandflagge beim Einzug der Nationen beim NYC Marathon auserwählt wurde. Wenn ihr ihn dort trefft, dann richtet ihm doch bitte schöne Grüße von uns aus. Er muss schon ein netter Kerl sein, wenn seine Takewando-Schüler für ihn sammeln, um ihn, an seinem (runden) Geburtstag mit der Reise zum Two Oceans Marathon in Südafrika, zu überraschen.
Noch völlig ins Gespräch versunken, merke ich gar nicht, wie die letzten Kilometer verflogen sind. Der Anblick des Altkanzlers Helmut Kohls befördert mich zurück in die Gegenwart. Für drei Jahrzehnten hielt er St. Wolfgang und besonders St. Gilgen die Treue. Einmal im Jahr kam er für vier Wochen hierher und lies sich einmal pro Woche im gepanzerten Wagen von St. Gilgen (wo er Ehrenbürger ist) zur hauseigenen Sauna des "Weißen Rössl" fahren. Übrigens ist es bereits 30 Jahre her, dass Helmut Kohl Bundeskanzler wurde. Er regierte 16 Jahre lang. 1,93 Meter misst der Pfälzer, nun steht er hier am Straßenrand, unverwechselbar groß und körperlich mächtig. Ein ortsansässiger Holzschnitzer wirbt mit ihm für seine Arbeiten. Schlingensief übrigens wollte Millionen von Arbeitslosen in den Wolfgangsee rufen, um durch die Erhöhung des Wasserstandes Kohls Villa am See zu fluten. Geschichten über Geschichten.
Wir sind kurz nach der zweiten Verpflegung und die 5 Kilometer-Panoramaläufer stürzen sich zu uns ins Rennen. Sie sind um 10:30 Uhr vom Dorfplatz in Strobl gestartet. Darunter eine große Menge Teenies. Sie preschen an uns vorbei. Knallrote Köpfe schnaufen wie die Dampflok auf dem Weg zum Schafsberg. Man kann sich auch auf 5 Kilometern (oder gerade da) die Kugel geben. Nun sind wir auch auf der Traditionsstrecke 27-km-Klassikers angelangt.