Der Yukon fordert mich extrem. Ich muss immer wieder Gehpausen einlegen, bremse Peter dadurch in seinem unwiderstehlichen Vorwärtsdrang. Das Profil der Strecke wird für mich sehr riskant, ich finde zeitweise keinen festen Stand, werde unsicher und verkrampfe. Ich muss kämpfen, zweifle an der Aufgabe, fühlte mich verloren, fremd und deplatziert. Ich will nach Hause.
Ich bin etwa 25 km gelaufen, habe aber keine Freude. Trotzdem nehme ich mir schon jetzt vor, wiederzukommen. Dann aber möchte ich das Rennen, die Landschaft und die Atmosphäre genießen. Und nicht kämpfen. Peter gibt sich Mühe, beschreibt mir die Umgebung, sodass ich doch einiges aufnehmen kann. Ich denke an meinen Bruder, was hätte er mir zu erzählen?
Als wir nach über fünfeinhalb Stunden die Zielhütte erreichen, liegt nur noch eine kleine 5-km-Bergschleife vor uns. Wir wärmen uns etwas in der Hütte, nehmen ein warmes Getränk und machen uns auf den letzten Wegabschnitt. Nur noch den Berg rauf und wieder runter, das Ziel immer in greifbarer Nähe. Aufwärts kommt uns Wilhelm entgegen. Auch er ist sehr viel länger unterwegs, als sonst bei einem Marathon.
Wir bekommen festen Boden unter die Füße, laufen auf einer Asphaltstraße, die zwar mit festgefrorenem Schnee bedeckt ist, jedoch eine griffige, ebene Lauffläche bietet. Am Wendepunkt überkommt mich doch noch das Gefühl der Freude. Gleich haben wir’s geschafft. Nach 6:24h laufen wir in‘s Ziel, der Yukon gibt uns wieder frei...
Meinem Guide Peter Uekötter bin ich sehr dankbar, dass er mir dieses Erlebnis ermöglicht hat. Trotz unserer Unerfahrenheit als Team hat er mich sicher geführt. Nächstes Jahr komme ich wieder. Dann weiß ich schon mehr von dem, was mich erwartet.
ist in Amerika geboren und kommt als 10jähriger nach Nürnberg. Norris in der Noris-Stadt, so ein Zufall. Der junge Amerikaner ist ein Typ, der alles ausprobieren muss. Erlaubtes und Verbotenes. Als 18jähriger verliert er bei einem Unfall sein linkes Auge. Er lebt weiter auf der Überholspur, nimmt Drogen. Erst ganz harmlos, dann die harten Sachen. Seine Freunde sind ausschließlich aus dem Milieu, er kennt schon bald die "andere" Seite des Lebens nicht mehr, seine Art zu leben wird seine Realität. Er wird straffällig, flieht aus Deutschland, wird Vater.
Um wieder in Deutschland leben zu können, sitzt er seine Strafe ab, ändert aber nicht seinen Lebenswandel. Nach einer Feier provoziert er eine Schlägerei, bei der er halb totgeschlagen wird. Mit schwersten Verletzungen wacht er auf der Intensivstation auf. Seine Schmerzen sind eine Sache, dass es Nacht um ihn ist, eine andere. Er verliert in Folge seiner schweren Verletzungen auch sein rechtes Auge und ist blind. Halbtot, im Entzug und blind.
In dieser Situation, wo man eher denkt, Jeffrey würde an seinem Leben nichts mehr liegen, erwacht ein unbändiger Wille in ihm. Der Wille zu leben. Aber nicht, wie bisher. Er will zurück in ein neues Leben. Wie das gehen soll, weiß er nicht, aber er will es.
Jeffrey ist in Therapie. Er raucht wie ein Schlot, sonst ist er clean. Der örtliche Wanderverein bietet an, mit den Patienten Touren zu unternehmen. Jeffrey würde gerne draußen sein in der Natur, sich etwas bewegen. Aber ein Blinder im Wald? Keiner will die Verantwortung übernehmen, man lehnt es ab.
Das bekommt ein anderer Patient mit. Er spricht Jeffrey an und bietet ihm an, mit ihm etwas zu unternehmen. Er ist aber kein Spaziergänger und auch kein Wanderer, der hilfsbereite Mann ist Läufer, Marathonläufer. Es ist vor Sonnenaufgang, das Gras ist nass vom Tau und es ist das erste Mal seit Jahren, dass Jeffrey frische Waldluft und die Natur genießt.
Schon bei der ersten Tour erzählt der neue Freund dem Ex-Drogen- und jetzt Lebenssüchtigen von seinen Läufen in fremden Ländern, von wahren Freunden und Abenteuern. Jeffrey ist sofort klar: Das ist es, wonach er sucht. Die einzige Bedingung, mit dem Rauchen aufhören, erfüllt er gerne. Mit dem neuen Freund macht die ersten kurzen Läufe. Ja, das ist sein Sport, das kann er. Nur halt nicht alleine. Er braucht einen sehenden Freund.
Als Jeffrey hört, dass sein Freund in ein paar Wochen in der Nähe an einem 10km-Lauf teilnehmen wird, ist er Feuer und Flamme. Da will er dabei sein. Er, der noch keine 1000 Meter am Stück laufen kann. Sein Freund muss ein guter Menschenkenner sein, der weiß, wie man eine Sache anpackt und einen Menschen, der es braucht, motiviert. Natürlich schafft Jeffrey die 10 km und natürlich macht er weiter.
Bald läuft er den ersten Marathon, dann 100 km und schließlich wird er ein Ironman. Es folgen 24Stunden- und Mehrtageläufe und Marathons in Deutschland, Europa und Amerika. Gefragt nach dem eindrucksvollsten Erlebnis, erzählt Jeffrey, dem der Fürst von Monaco schon persönlich einen Pokal überreicht hat, folgende Geschichte:
„Bei einem 6-Stunden-Charitylauf wurde ich unter anderem von zwei Kindern, beide 9 Jahre alt, geführt. Es regnete in Strömen. Viele Läuferinnen und Läufer unterbrachen ihren Lauf für längere Zeit und suchten Schutz im Trockenen. Irgendwann führte mich ein Mädchen. Sie erzählte mir von ihrer blinden Schwester und von allem Möglichen. Nur darüber, dass es regnete und sie schon bald bis auf die Haut nass war, sprach sie nicht. Nach fünf Runden wurde sie von ihrer Mutter abgeholt. Dann fragte mich ein Junge, ob er ein paar Runden mit mir laufen dürfe. Ich war so gerührt, ich werde es nie vergessen.“
Erst kürzlich wird der blinde Ex-Junkie Jeffrey Norris („mein Leben war noch nie so schön“) vom Amt für Kultur und Freizeit in Nürnberg engagiert, um in Schulklassen Aktionen zu begleiten und über sich und sein Leben zu sprechen. Klaus Duwe