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12.11.17 - Zagora Sahara Trail

Die Freiheit der Wüste

Autor: Joe Kelbel

Und wieder bin ich in die Sahara unterwegs, um dem unfreundlichen Wetter in Europa zu entfliehen. Die Reise über die N9 durch den Hohen Atlas hat seit meiner ersten Reise in die Sahara ihre Ursprünglichkeit verloren, durch die Verbreiterung der Straße verkürzt sich die Reisezeit von Marrakesch nach Zagora auf 6 Stunden.

Einst führte die Karawanenroute Timbuktu-Zagora-Marrakesch über diese Route, die 1919/20 von deutschen Kriegsgefangenen ausgebaut wurde. Der Trans-Atlas-Marathon über 285 Kilometer führt über diese 100 Jahre alten Stahlkonstruktionen.

Zagora war einst eine wichtige Karawanenstadt, von hier aus brauchten die Händler 52 Tage bis nach Timbuku. Eine Karawane schaffte pro Tag durchschnittlich 30 Kilometer. Das alte Schild am Ausgang zur Wüste erinnert an die sprichwörtlich goldenen Zeiten. Der 10fache Seriengewinner des Marathon des Sables, Lahcen Ahansal, will mit diesem Lauf daran erinnern und hat deswegen den Zagora Sahara Trail auf 52 Kilometer verlängert. Eine Reise nach Timbuktu ist leider nicht mehr möglich, die Grenzen sind dicht. Einst wurden die Wachttürme zum Schutz gegen die rebellischen Touareg gebaut, nun unterbinden sie Migrationsbewegungen. Ich träume einen Lebenstraum, ich träume von einem Lauf nach Timbuktu.

In Zagora, gegenüber der großen Moschee, vor dem Hotel Riad Salam ist immer das Zelt für die Laufregistrierung (25 Euro oder 250 Dirham) aufgebaut. Es ist ruhig vor dem Zelt, Marokko spielt gerade gegen die Elfenbeinküste um die Qualifikation für die Fußball-WM. Sie werden gewinnen, Riesenparty auf den Straßen!

 

 
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Der Start ist für Sonntag 8:00 Uhr angesetzt, 10 Uhr die 26 Kilometer und der 10er. Auf Nachfrage heißt es zunächst 8:30 Uhr, dann Start für alle Disziplinen um 9 Uhr. Dirk und ich wollen zu Fuß zum Startgelände, das wurde aber verlegt.  Zwei englische Franzosen nehmen uns glücklicherweise mit dem Auto mit. Viel mehr Europäer starten nicht, der Tourismus ist eingebrochen, wer 1001 Nacht erleben will, der bekommt das auch in Europa auf dem Bahnhofsvorplatz. Ich werde dieses Jahr nur zweitbester Deutscher werden, denn Dirk ist dabei.

Rachid Elmorabity, der zurzeit schnellste Marokkaner, hilft bei der Organisation.  Er wird Montag  den 120 km langen Grand Trail de la Vallee du Draa und Samstag den Oman Desert Marathon gewinnen.  Ich werde dann zeitgleich bester Deutscher beim Tafraout Atlas Trail werden.

Der Gouverneur und zahlreiche andere Honoratioren kommen relativ pünktlich mit schwarzen Limousinen über das steinige Flussufer angebrettert. In stolzer Haltung, korrekt gekleidet, marschieren sie zum Start. Die Musiker führen einen sehr guten Schwerttanz auf. Das hat was! Wir sind 58 Starter auf den 52 Kilometern. Die Regeln sind einfach: Keine Kleiderbeutelabgabe, keine Dixies, kein Zeitlimit, keine Cut-Offs, außer der Dunkelheit. Verpflegung zunächst alle 5 Kilometer, später für die Ultras alle 10 Kilometer. Es gibt Wasser, Orangen, Datteln, Zucker und manchmal Cola. Wieder mit dabei sind die Läufer des Clubs „La dune déspoir“, Düne der Hoffnung. Es sind die französischen Cabanauten, die behinderten Kindern ein Erlebnis  in der Wüste ermöglichen.   

 

Los geht´s.


Die Strecke ist neu, das Flussufer auch. Nach den verheerenden Regenfällen 2014 war die Stadt eine Insel, Touristen wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Nun ist das Ufer des Draa stark befestigt, die Brücke erhöht worden. Die „neue“ Kläranlage funktioniert zum ersten Mal. Brennende Müllhalden gibt es auch nicht mehr, die beiden Ahansal Brüder machen sehr gute Umweltpolitik in ihrer Heimatstadt. Heute also richtig gute Luft zum Atmen, doch wir laufen durchgehend in einer Höhe von 1000 Metern ü.d.M, das bremst.

 

 
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Nach der Überquerung des Draa folgen die üblichen Probleme einer Steinwüste,  vernünftiges Laufen für mich nicht drin. Auch in den folgenden Sanddünen genieße ich die Vorteile der Zeitfreiheit. Zwischen den schattigen Lehmmauern der Oase Amzgrou, dem Heimatdorf der Wunderläufer der Familien Ahansal und Elmorabity, lässt es sich super  laufen. Es gibt richtige Fangemeinschaften, die uns zujubeln. Männer und Kinder lassen sich gerne fotografieren, Frauen nicht. Weibliche Läufer haben keine Scheu, tragen kurz/kurz. Schultern und Kopf sollte man wegen der hohen Sonneneinstrahlung dennoch bedecken.

Die Markierungen von Lahcen sind auch für Blinde sichtbar, nicht gerade umweltfreundlich, aber sie garantieren das Überleben auf der Strecke.

Die Läuferin aus Malta hat die 10 Kilometer-Abzweigung verpasst, sie heult, als ihr Tacho 12 Kilometer anzeigt. Es stehen zwar unglaublich viele Helfer an der Strecke, die auch Wasser anbieten, doch die Malteserin versteht kein Französisch, die Helfer kaum. Ich biete ihr an, sie bis zu Kilometer 16 zu ziehen.  Dort passieren wir die Straße nach M´hamid, dort könne sie mit dem Auto zurück nach Zagora. Sie träumt dann plötzlich von 27 Kilometer, doch das hat sich schnell erledigt. Ich liefere sie beim Streckenposten ab.

 

 
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Letzte Woche hatte es geregnet, die getrockneten Lehmplatten knacken lustig unter meinen Schritten. Schafe fressen die frischen, winzigen Grashalme, Kamele die unglaublich saftigen Halme einer wie Schnittlauf aussehenden Pflanze, die maximal fünf Sprossen hat. Damit und von dem wilden Rucola, der riesige Ebenen bedeckt, könnte ich überleben. Einheimische essen den Rucola nicht, er sei zu fest. Kamele und Schafe mögen ihn nicht wegen der Bitterstoffe.

Die Läufer vom Club „Dune d´espoir“ wechseln Läufer und Kinder, dann geht’s weiter. Rachid hat mir mein Lieblingsgetränk besorgt, was mir Lahcen alle 10 Kilometer anbietet.  Er kontrolliert das hintere Läuferfeld, es sind erstaunlich viele Läufer hinter mir. Ich bin heute gut drauf. Die trockene Zunge suggeriert Wassermangel, man muss also unbedingt etwas in die kleinen Wasserfalschen, die hier angeboten werden, einwerfen. Brausetabletten oder Pulver, wobei es schwierig ist, Pulver während des Laufens reinrauschen zu lassen. Salztabletten sind selbstverständlich. Schweiß verdunstet augenblicklich in der trockenen Luft, das ist angenehm, so entstehen keine wunden Stellen.  Der Sand jedoch nagt an meinen Fersen. Gamaschen wären gut.

Die Steinwüste, die sich bis zum Horizont ausdehnt, das ist mein Laufrevier. Ich mag diese offene Landschaft, diese Weite, die ich mit meinen bescheidenen Lauffähigkeiten bezwingen kann. Es ist die Mainzer Landstraße der Sahara, hier 20 Kilometer lang. Ich bin happy.

Die Laufstrecke ist neu, der folgende Pass nicht mehr so fordernd. Wunderbar durch die Felsenlandschaft zu laufen. Ein Trupp Dromedare erwartet mich auf der anderen Seite, unglaublich freundlich, diese seltsamen Tiere, die mal dringend zur Zahnreinigung müssten. Für ein  Foto mit diesen sanften Tieren weiche ich auch mal von der Laufstrecke ab.

 

 
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Die ehemaligen hohen Sanddünen sind nach Europa geflogen, der Weg ist frei für einen lockeren Lauf. Als ich eine Stunde später in der Flussoase ankomme, sind auch die Dreckspatzen verschwunden. Zwar gibt es noch einige Kinder, die denken, dass Läufer Dirham, Bonbons und Kugelschreiber verteilen würden, aber sie sind längst nicht mehr so fordern, wie sonst die Jahre. Ich bleibe stehen, erkläre auf „Deutsch“, dass ich meine verdammte Ruhe haben möchte. Es sind Kinder, die aus Algerien kommen, sie fallen leicht vom Fahrrad runter.  

Weiter geht´s entlang es Steilufers des Draa. Dirk beschwert sich nachher, dass Streckenposten nicht wissen, wieviel Kilometer wir noch haben. Mir ist das egal, ich habe jetzt meine Ruhe, werde eh keinen Pokal gewinnen. Im Schatten eines hilflosen Busches sitzen Sanitäter. Ich packe meinen stark blutenden Fuß aus. Sie machen gute Arbeit.

Der Aufstieg zum Zagora Berg ist nicht lustig, aber ich habe die Geduld eines Ultraläufers und genieße alsbald die Aussicht über einen winzigen Teil der 2000 Kilometer langen Flussoase, die sich über die gesamte sichtbare Welt erstreckt.  Ich sehe das Ziel unten im Tal. Mannmannmann, geht’s mir gut!

Lahcen hatte mir ein Foto geschickt von einem Trainingsläufer, der hier tödlich verunglückt ist. Ich werde das Bild der verdrehten Gliedmaßen nie vergessen. Heute habe ich gute Trailschuhe, ich lege mich nicht hin, Dirk schon. Bin dieses Jahr schnell unten.

 

 
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Ein langer, langer Schatten läuft vor mir ins Ziel. Meine Nachfolger nehmen die Abkürzung ohne den Berg, warum auch nicht. Jeder hat hier die Freiheit, die Freiheit der Wüste. Das war heute wirklich gut.

In der folgenden Woche durchquere ich auf 600 Kilometrn zusammen mit Maria und Karl-Heinz die  Sahara, wir sammeln Pfeilspitzen aus prähistorischer Zeit, 400 Millionen alte Fossilien der Nautioideen, schlafen in Sanddünen von Chegagga, reparieren zwei Stunden mitten in der Wüste den überhitzen Motor, übernachten unter einem grandiosen Sternenhimmeln, der von den grünen Sternschnuppen der Perseiden garniert ist. Ein großartiges Erlebnis ist die Überquerung des Iriki-Sees, der 2014 einen Wasserstand von 5 Metern hat.
 

Jetzt brettern wir mit 100 Stundenkilometern über den Trockensee, um unser Wochenziel, die grandiose Schlucht von Ait Mansor zu erreichen, von dort ist es noch eine Tagesreise bis zum nächsten Lauf, dem Tafraout Atlas Trail.

 

Informationen: Zagora Sahara Trail
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