Nach dem Zagora Sahara Trail organisiert Lahcen Ahansal jedes Jahr eine lockere Lauftour in Etappen mit Übernachtungen in der Wüste. Die Wetterapps sagen Sonnenschein voraus, Lahcen sagt: „Non! Tampede!“ Tatsächlich ziehen graue Wolken auf und es regnet und schneit.
Im Garten des gästefreien Hotels Ksar Tinsouline hat ein ehemaliger Fremdenlegionär Gemüsefelder angelegt, die Ackerbohnen werden gerade reif. Die dunkle Bar des Hotels ist durchgehend von einheimischen Konsumenten belegt. Sie sprechen kein Französisch, man spricht komisches Spanisch. Die Happy Hour wurde von 19 Uhr auf 18 Uhr beschränkt. Live Musik, manchmal erscheinen Bauchtänzerinnen.
Der nächste Tag zeigt wieder blitzblanken, blauen Himmel. Treffen 8 Uhr am Hinweisschild nach Timbuktu. Endlich wieder Laufen! Das Gepäck wird transportiert, alle 20 Kilometer gibt es Wasser, notfalls wird Mustafa angerufen, der dann mit dem 4x4 schwächelnde Läufer abholt. Unter Führung von Rachid Elmorabity laufen wir durch das Flussbett des Draa und die angrenzende Oase nach Süden. Lahcen macht den Schlussläufer, er hat Psiriformis.
Südlich von Zagora wird Kobalt und Nickel angebaut, 100 Kilometer lang sind die Ablagerungen des urzeitlichen Draa Flusses. Auch Kaolinit, das bessere Material für Porzellan gibt es hier. Erlaubt ist der Abbau nicht im Weltkulturerbe, also deklariert man dies als Materialabbau für den Straßenbau.
Kaum am Steilufer angekommen, zersägt es mich im Matsch. Schlammbedeckt laufe ich weiter bis zum Wasser, alle anderen sind schon wacklig drüber gelaufen, jetzt bin ich dran. Schlamm, Wasser, rutschige Steine und das falsche Profil am Schuh: Batsch! Es reißt mich vom Sockel, volle Breitseite, kopfüber in das glasklare, eiskalte Wasser. Ben Jamin aus detschland hält das mit seiner Samsung fest, mir ist nicht zum Lachen.
Folgt man dem Lauf des Draa, wird man erstaunt sein, wie mächtig der Fluss in den letzten Jahren geworden ist. Er fließt zwar oftmals unterirdisch, erscheint aber bei M´Hamid zwischen den gewaltigen Sanddünen von Chegaga als gewaltiger, langer See. M´Hamid liegt unmittelbar an der Grenze. Es gibt ein großes Fort aus französischer Zeit, dort kommt die Karawanenstraße an. Dromedare und Sklaven liefen immer exakt in einer Reihe, sodass man diese „Straße“ nur an einer 10 Zentimeter breiten Spur erkennen kann. An dieser Strecke, am Draa in M´Hamid, ist ein alter Brunnen, ein wirklich großer mit einem 10 Meter langen Hebelarm. Das Interessante daran, der Brunnen steht auf einem 5 Meter hohen Hügel aus zerbrochenen Amphoren und Straußeneiern, die einst als Wasserbehälter dienten. Noch älter sind die Pfeilspitzen, die unterhalb des Hügels liegen. Der Draa war vor 10.000 Jahren ein mächtiger Fluss und die Sahara mit endlosen Seen bedeckt. Das letzte Krokodil wurde hier in M´Hamid in den 50ern erlegt.
Die zahllosen Kieselsteine machen unseren Lauf schwer, dann endlich führt uns Rachid hinein in die Oasenanlagen. Traumhaft schön. Ich lerne die Unterschiede der Dattelarten kennen: Es gibt theoretisch 14 Arten, durchs Pfropfen bekommt man aber 1500 Sorten. Wir pflücken uns von den Bäumen, was wir brauchen. Die schwarzen Datteln (Delget Nour) sind die besten, in Deutschland erhält man minderwertige Ware, die mit einer Zuckerglasur konserviert wird. Hier wachsen die besten Datteln der Welt, gesunde Energie für lange Läufe. Doch an Laufen ist nicht mehr zu denken, wie Ziegen hängen wir jetzt an den Bäumen und futtern, was das Zeug hält. Das Paradies muss hier gewesen sein.
Einmal sehe ich einen Traktor, ansonsten wird mit Pferd oder Menschenhand das Feld bestellt. Die winzigen Parzellen werden mit der Hacke geformt. Die Dattelbauern sind relativ wohlhabend, gute Früchte bringen gutes Geld. Entscheidend sind die Wasserrechte, die in einer Art Bürgervertretung geregelt werden. Der Mann, der den Wasserschieber bedient, wird regelrecht verehrt, an ihm hängt die Zukunft der Familien. In den Siedlungen lugen Kinder aus den blau angemalten Türen, ich grüße mit „Salam, Salam!“ Ich kann „salem aleikum“ ohne Bier nicht formulieren. Es besteht Schulpflicht, aber die lässt sich hier nicht durchsetzen. Unser Ziel heute sind die Dünen von Tinfou. Vor den Dünen passieren wir die Kasbah Sahara Sky, ein Hotel mit Sternenobservatorium, das Fritz Koring leitet, der aber nicht anwesend ist, was man an der versandeten Auffahrt erkennt.
Versandet ist auch unser heutiges Camp, das von den Helfern errichtet wurde. Vier Schlafzelte, ein Gemeinschaftszelt, ein Küchenzelt und ein afrikanisches Dixi. Gegessen wird auf Matratzen liegend, abends wird getanzt.
Gesungen wird in Tamazight, eine mit dem germanischen verwandte Sprache. Erst seit 5 Jahren darf diese von 5 Millionen Berbern gesprochene Sprache wieder in den Schulen gelehrt werden. Geschrieben wird diese Sprache in der Tifinagh-Schrift, einer von den Tuareg aus Libyen importierten Schrift. Die Berber schreiben, wie wir von links nach rechts, die Araber von rechts nach links. Tifinagh kann man von oben nach unten, von links nach rechts und rechts nach links schreiben. Saint- Exupéry hat den „Kleinen Prinzen“ in diese Schrift, die in den 60er Jahren entstand, übertragen. Ich weiß aber nicht, ob von unten nach oben.
Wir singen von links nach rechts, die Worte wiederholen sich so oft, sodass man durchaus laut mitsingen kann. Es ist kalt nachts, saukalt. Die Kameldecken sind super und auch frisch gewaschen. Mit vielen Kameldecken kann man auch oben auf der Düne schlafen und weit hinaus ins All schauen. Gut sichtbar ist der Orion, der Jäger, der mit seinem Pfeil die Wanderroute der Milchstraße, unserer Galaxie anzeigt.
Die Anordnung der Pyramiden in Ägypten und Peru richten sich nach dem Sternbild. „Tasagalt“ nennen die Tuareg das bekannteste, dem Orion nachempfundene Schmuckstück der Sahara, das Kreuz des Südens, wie es die Franzosen nennen. Die Berber haben die Schmuckherstellung von den Tuareg übernommen, es wird nur Silber verwendet, Gold gilt als Unglücksbringer. Das Sternbild der Plejaden steht senkrecht über uns, wenn sie am 20. Mai untergehen, ernten die Berber die Gerste. Daraus wird kein Bier gebraut, das setzt Sesshaftigkeit voraus. Ursprünglich wurde vergorene Ziegenmilch getrunken, ein grausamer Trunk. 1949 führten die Franzosen das Bierbrauen in Marokko ein. Der Firma Castel aus Bordeaux gehören alle Brauereien Marokkos.
Das Frühstück wird gereicht, sobald ich mich aus dem Sand gepellt habe. Wie üblich gibt es den Schmelzkäse, den Leon Bel erfand: „La vache qui rit“, der französischen Soldaten im ersten Krieg froh machen sollte. “La Wachkyrie“ war der ursprüngliche Name und meinte damit die deutsche Walküre, die man gerne vernaschen würde.
Dann ist Laufen angesagt. Zwei Gruppen: Schnelle und Versehrte. Ich bin Versehrter, erkunde das breite Flussbett mit seinen weißen Kaolinitfeldern. Doch zunächst gibt es aufgegebene Melonenfelder, Folien und Bewässerungsschläuche. Die Pumpanlagen waren einst in kleinen Lehmhäusern, jetzt liegen die Brunnenschächte offen. In 10 Meter Tiefe fällt der Stein ins Grundwasser. Es ist eine sonderbare Stimmung im Bett des Draa, absolut keine Geräusche, nur der Wind scheint irgendwo in den Bergen ein Grundbrummen zu erzeugen, oder ist es Einbildung?
Ich mag nicht mehr laufen, mein gestriger Sturz war doch schlimmer. In alten Lehmgemäuern liegend, träume ich den Tag stundenweise weg, kein Insekt, kein Wind, kein Handyempfang stört meine Ruhe. Für den letzten Abend wird Holz gesammelt. Lahcen wird angesichts des Feuers zum Spielkind, der Rest der Mannschaft hüpft im Kreis um das Feuer.
Ich werde nicht mehr weiterlaufen, muss zurück nach Deutschland. Schnee liegt weit hinab in die Sahara. Ab Ouarzazate wird es abenteuerlich, aber der CTM-Bus kämpft sich durch die geräumten Schneemassen und passiert den Tizi N´Tichka, den ich im Mai beim Trans Atlas Marathon (280 km) gequert hatte. Ich schaue wehmütig auf den steilen Trail, ich komme bestimmt wieder.
Das sind die Termine:
29.01. Marrakesch
19.-25.02 Ultra Trail Eco Sahara 110 km nonstop
24.-28.03. Marocco Tizi N`Trail 70km 3 Etappen
18.04.- 21.04 Eco Trail de Ouarzazate 70 km 3 Etappen
22.04.- 27.04 Trans Sahara 250 km, ausgebucht
05.-09.10 UTAT 105 km nonstop
12. 11. Zagora Sahara Trail 47 km in Kombi mit dem Tafraout Trail ( 72 km) bei Agadir. Durchquerung des Antiatlas von West nach Ost. Das Programm gibt es demnächst bei interair.de
01.02.11 | Wüste(n) Gespräche im noblen Baden-Baden |