In Marrakesch endet das dekadente Knattern der Rollkoffer am Parkplatz, wenn die Touries ihr Übergepäck in die Busse laden. Dann kann ich in Ruhe den Blick auf den schneebeladenen Hohen Atlas genießen. Dort hinüber geht die achtstündige Fahrt, um in die Sahara zu gelangen. Weking, mit dem ich letzten Monat im Oman gelaufen bin, fährt gerade Ski in Oukaimeden, dem Startort des UTAT im Oktober. 6 Euro kostet die Tageskarte für das einzige Skigebiet Nordafrikas. 5 Euro die afrikanische Skiausrüstung. Sonntag wird er den zehnten Platz beim Sahara Trail Zagora erkämpfen, einem Traillauf, bei dem die besten Wüstenläufer der Welt antreten. Organisiert wird der Trail von den Brüdern Ahansal, den Seriengewinnern des Marathon des Sables (MDS).
Der Weg nach Zagora war nie einfach, doch dieses Jahr ist er extrem schwierig: Seit Menschengedenken gab es noch nicht soviel Niederschlag. Brücken, Strassen und Dörfer sind weggeschwemmt worden. Tagelang war die einzige Straße nach Zagora gesperrt. Zagora war eine Insel, Touristen wurden mit dem Helicopter ausgeflogen. Die Strecke des Sahara Trail Zagora, wie der Marathon Extrem de Zagora nun heisst, musste komplett geändert werden, da der Draa-Fluss immer noch nicht passierbar ist.
Zunächst hole ich Lu und Moni ab. Geplant ist eine Trailwoche in der Wüste, die mit dem Marathon am Sonntag beginnt. Der Bus ist rappelvoll, zum Glück konnte ich über das Internet Plätze reservieren. Moni pennt, Lu liest, dabei ist dies eine der geilsten Strasse der Welt. Neben mir sitzt Hanna aus Polen. Sie ist studierte Künstlerin, unterrichtet die Nomadenkinder, damit sie ihre Kunst-Tradition bewahren. Eine Kiste Kalender mit Nomadengekritzel und eine größere mit Wein hat sie dabei. Eine ihrer Kisten wird die Fahrt nicht vollständig überleben. Ich gebe ihr eine Plastiktüte, als ihrerseits das Gespräch verstummt.
Vor mir sitzt ein Typ, der hat als Klingelton den Muezzin. Er geniesst es, wenn er angerufen wird und lässt es lange klingeln. Dann brüllt er ins Handy, sodass der Bus zusammenfällt. „Sag mal, hast du noch alle?“ brülle ich zurück. Es ist eine andere Welt. Werden wir jemals ankommen? Dann kracht mir eine Packung Datteln auf dem Kopf, die Dingerchen rollen durch den Innenraum.
In Ouarzazate steigt eine schwäbische Familie zu. Sie kommen gerade mit dem Bus aus Essaouira an, wollen spontan dorthin, wo die Strasse endet. „Szagoura“ wird der Ort ausgesprochen, erkläre ich, und ihr seid in „Uaasasate“ eingestiegen. Ich kenne das Problem mit der Aussprache.
Es ist stockdunkel, als wir in Zagora ankommen, doch die Strassen sind hell erleuchtet. Sogar eine Ampel gibt es jetzt. Die EU pumpt viel Geld in die Grenzregion zwischen Marokko und Algerien, damit Flüchtlinge aus Schwarzafrika erst gar nicht bis ans Mittelmeer durchkommen. Nur gerade so viele überwinden den 6 Meter hohen Grenzzaun, dass die Gelder der EU weiter fließen.
Vor dem Gebäude der Provinzialregierung leuchten grellgrüne Weihnachtsbäume. Die leuchten das ganze Jahr, hier ist immer Weihnachten. Ein neuer Park ist angelegt worden, der Startort.
Verlockend romantisch ist der Pool des Hotels „Ksar Tinsouline“ erleuchtet. Der blaugrüne Schein trügt, das Wasser ist bitterkalt, auch wenn der Innenhof mit Palmen protzt. Sämtliche Hotels liegen nur wenige Meter vom Startort entfernt.
Als Moni, Lu und ich uns zum Start begeben, kommen aus den Seitenstrassen aufgeregte Kinder auf uns zugelaufen. Für die sind wir Halbgötter. Sie tragen auch Startnummern, Startnummern irgendwelcher Läufe, die Logos von irgendwelchen ehemaligen Sponsoren sind rausgeschnitten. In Marokko darf jedes Kind unendgeltlich mitlaufen. Basisarbeit.
Zagora war früher der Startort des MDS. Die Nomadenkinder Mohamad und Lahcen Ahansal kamen damals nach Zagora, weil sie zur Schule mussten (Schulpflicht 4 Jahre), liefen einfach beim MDS mit und wurden so entdeckt.
Lu und Moni haben beste Chancen auf eine Platzierung, denn es treten nur sechs Frauen beim Marathon an. Im Anmeldeformular müssen Frauen eine Aufsichtsperson benennen. Lahcen trägt grinsend meinen Namen ein. Demnächst bringe ich ihn um!
Dieses Jahr sind nicht viele Europäer am Start. Auffallend aber die Franzosen, die einige Freunde mit Behinderung über die Strecke transportieren wollen. Sie sind verdientermaßen die Stars in der Manege. Lu gibt ein Interwiev vor laufender Kamera, man ist stolz auf das kleine internationale Teilnehmerfeld. Wie viele teilnehmen, kann niemand sagen, zuviele Mitläufer dominieren das Startgelände. Ist ja auch egal.
Es ist kalt, 5 Grad. Die Temperatur wird im Laufe des Rennens auf 20 Grad steigen. Der Bürgermeister, oder ist es der Gouverneur, lässt sich wie all die Jahre Zeit. Dann beginnt ein wahnsinniger Trommelwirbel, die Jungs hauen auf die Dinger ein, dass dir das kalte Ohr wegfliegt! Unterlegt mit dem hellen Klang der Nay-Flöte und dem schnöden Trällern des Quetschdigens fangen wir an zu wippen, langsam, dann schneller. Schwerter werden geschwungen und die Frauen stimmen dieses unglaublich helle „Trililililililililihihi“ an. Ja, hier können die Frauen nicht nur babbeln. Hier läuft es mir kalt über den Rücken, wenn eine Frau den Mund aufmacht.
Eigentlich ist ein neutralisierter Start bis hoch zum Timbuku-Schild angesagt, damit die Kameraden mit Handicap nicht überrannt werden. Doch die Zeitmatte liegt direkt unter dem Starttor. Ich muss zurück und hindurch. Hier rennt man einfach wie wahnsinnig los, Ich finde das so bekloppt, dass ich mich immer wieder kranklache.
Man läuft durch die Gasse der Musiker, dann bergauf bis zur ersten Ampel Zagoras, die wegen des Kreisels einfach keinen Sinn macht. Und dann ist kein Halten mehr, es geht direkt in die Wüste.Voll bescheuert ins Nichts! Hirnlose Herde hirnloser Läufer - und ich mittendrin. Doch die Ampel lässt mich nicht los. Da werden die Sekunden runtergzählt, an einem Kreisel, der auf Verkehr wartet. Na gut den erwarte ich auch - in der Wüste und bei Kälte.
Dieses Jahr gibt es keine Wüste, kein Verkehr. Nach dem zweiten Kilometer empfangen uns duftende Blumen, dann geht es am Draa-Fluß entlang. Weltkulturerbe ist diese Oase. Sechs Meter hoch stand hier das Wasser vor vier Wochen, man spricht von 40 Toten. Die meisten Menschen wurden auf Brücken erwischt, als der Tsunami anrollte. Dramatische Fotos kursierten auf FB, als hier die Autos samt Insassen eingeklemmt waren zwischen Brücke und Fluten. Wir können jetzt aber problemlos die einzige Brücke Zagoras überqueren und tauchen in eine traumhafte Oasenwelt ein: Schmale Wege über Lehmdämme, zwischen hohen, schattenspendenden Mauern, durchzogen von unzähligen Kanälen, über denen üppig die Dattelpalmen stehen.
Es ist ein unglaublich schneller Lauf. Die 5 Kilometer-Läufer kommen uns entgegen. Die Eindrücke sind überwältigend, ich könnte tausend Fotos schiessen, muss mich dafür aber immer wieder in kleine Nischen klemmen, damit ich nicht umgerannt werde. Und doch muss ich dranbleiben. Kreuz und Quer rast die Menge der Läufer durch die schmalen Wege, Orientierung null. Ich könnte heulen vor Läuferglück. Das Zusammenspiel zwíschen Sonnenstrahlen, Palmen, lieblichen Kanälen und hohen Lehmmauern ist der Hit. Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, die ich liebe. Hier bin ich zuhause.
Unvergesslich, wie sich die Gasse öffnet und wir im kleinen Örtchen Amezrou ankommen und von den Bewohnern empfangen werden. Viele halten sich die Hände vor´s Gesicht, wenn ich fotografieren will, man ist so einen Auflauf hier nicht gewohnt. Ich kenn das, man kann mit den Leuten quatschen, denn sie lieben es, sich auf dem Display der Kamera zu entdecken. Wer Kopftuch trägt, hat sich veileicht nicht die Haare gewaschen. Die Augen jedenfalls grinsen breit. Frauen lieben Wüstensöhne. Ich bin einer.
Mein Freund Indiha läuft wie immer mit marrokanischer Fahne. Er lebt von 3 Euro monatlicher Sozialhilfe, wünscht sich so sehr ein Trikot von Bayern München für seinen Sohn, so erzählt er, wobei ihm Dattelstücke von seinen verbliebenen zwei Zähnen wegspritzen. Also bitte schickt mir Trickots, ich treffe ihn in 2 Wochen wieder. Er weicht jetzt auf die Halbmarathonstrecke aus, sowie die Franzosen mit ihren Rikschas, auf denen sie ihre Freunde mit Behinderung transportieren.
Für die Marathonläufer beginnt jetzt der Ernst des Laufens. Heimlich haben mich Lu und Moni überholt. Im Sand kann ich sie einholen, dann geht es gemeinsam wieder durch die schmalen Gassen der Oase. Diese Strecke zählt für mich zu den schönsten Laufstrecken der Welt. Und immer wieder wetzen kleine Kinder neben uns, vor uns, hinter uns, jeder hat Spass am Laufen, springt über Brückchen, kleine Kanäle, taucht unter Palmen durch und nimmt scharfe Kurven um hohe Lehmmauern, um dann in das satte Grün der palmenüberdachten Felder einzutauchen.
Jetzt im Winter werden hauptsächlich Futterpflanzen angebaut, auf einigen Feldern spriesst knallgrüne Gerste aus sorgsam gezogenen Rillen zwischen kleinen Lehmwällen. Ein zahnlos grinsender Bauer springt mit seiner Hacke, wie Catweezle hinter einer Lehmmauer hervor: „Buuuu!“ Ich biege mich vor Lachen, weil Lu und Moni vor Schreck beiseite springen und sich fast ins Höschen machen. Nur Bekloppte hier!
Es gibt viel Wasser hier. Die beiden Mädels ziehen sich die Schuhe aus, für mich die Gelegenheit abzudampfen. Ein Ultra läuft mit Schuhen durchs Wasser! Als Aufsichtsperson lasse ich mich dann aber in der Steinwüste wieder einholen.
Ein Schlag, ein Schrei, Moni liegt auf dem Boden. Sie macht das gerne, doch diesesmal hängt die Haut am Arm und am Bein in Fetzen. Wir wissen nicht, wie viel km wir noch laufen müssen. Doch dort, wo der Anstieg über die Gebirgskette beginnt, steht Lahcen und freut sich wie ein Kind über seine deutschen Schützlinge. Ich habe den 10fachen Gewinner des MDS laufen sehen. Ich habe ihn von 4 Meter Höhe springen sehen. Mir blieb der Mund offen. Er ist ein Ausnahmesportler, der die Eleganz des Laufens verkörpert.
Für uns beginnt ein uneleganter Aufstieg, der mit der besten Aussicht über die Sahara belohnt wird. Ein Wahnsinniger schiebt sein Rad über die Düne, kann nur ein Deutscher sein. Und so ist es! Ich kenne ihn aus 2011, als er mich mit seinem Rad begleitete. Ein M4Y-Fan der hier überwintert. Auf der anderen Seite liegt das Bivouc Ahansal, wo ich schon die Silvesternacht verbracht habe. Nicht so dieses Jahr, es sind mir inzwischen zu viele Gäste dort. Ich habe Lahcen gebeten, dieses Jahr in Ergk Cheggaga zu feiern. Bis dahin werden wir noch viele Tage laufen, doch zunächst gilt es diesen Marathon, der ein Ultra werden wird, zu finishen.
Die große Düne hinunter ist noch ein Spass, Moni brezelt wieder hin. Wir müssen uns gegenseitig motivieren. In der prallen Sonne wird die Wüste zur Qual. Wo ich vor Jahren noch in den Dünen nach dem Weg suchen musste, ist jetzt fester Untergrund, der von zarten Pflanzen besiedelt ist. Das Kamelskelett dient jetzt nicht mehr als Streckenmarkierung, sondern schlummert zwischen fetten Pflanzen, deren Giftigkeit nicht zu überbieten sind:
Die liebliche Saharalilie, jetzt nach dem Regen mit drei langen Blättern und sechs rosa Blütenblättern überall spriessend, ist absolut tödlich. Der fette Oscher führt zur Erblindung. Die Wandelrose bringt dich um. Anabasis ist besser als Canabis. Für uns sehen die Pflanzen alle gleich aus, doch Lahcen und Lhoucin stopfen sich auf der folgenden Trailwoche ganze Stauden grinsend in den Mund. Nach unserem Traillauf durch den Taunus musste mir Lahcen die Zecken rausrupfen. Wo also ist es gefährlicher?
Die nächste Verpflegungsstation wird von zwei schweizer Frauen geführt. Ich vermute, die haben irgendwie in die Familie der Wüstensöhne eingeheiratet. Europäische Frauen stehen auf Männer der Wüste, um sich in der Einsamkeit der Wüste beschützen zu lassen. Also sammele ich jetzt Lu und Moni ein. Wir müssen weiter, auch wenn Ismael begeistert Fotos von mir schiesst, nur weil ich mal einen Tee trinke.
Bei der folgenden Flussdurchquerung habe ich wieder die Chance meine Damen abzuhängen. Das kalte Wasser ist wohltuend. Kinder glotzen, verstehen nicht, warum Europäer Angst vor Wasser haben. Ich verstehe nicht, warum ein Franzose den anderen stützen muss, damit dieser seine Schuhe anziehen kann. Muss lachen, weil … egal, so beginnen Freundschaften.
Ich habe jetzt die Führung übernommen, es ist die alte Strecke. Wir kommen nach Oued el Farr, vor Jahren noch eine riesige Müllkippe, auf der sich die Plastiktüten in den Akazienbäumen verfingen. Die Ahasal-Brüder haben aber ganze Arbeit geleistet: Sie haben den Bewohnern Sauberkeit beigebracht. Lahcen hat auch meine Wohnung nach unserer Party aufgeräumt.
Frauen lieben Wüstensöhne. Meine beiden Frauen haben mich wieder eingeholt. Ich höre deren Tapp-Tapp hinter mir, als ich am Steilufer des Draaflusses entlang laufe. Dann ein Schrei, ein Sturz, Moni macht das gerne. Wir müssen wieder durch einen Fluss. Wieder die Chance, mich der Damenmannschaft zu entledigen. Warum auch sind Frauen so scharf auf Schuhe?
Auf der alten Karavanenstrasse steht Mohamad Ahansal mit seinem 4 x4: „Du mussen auf die Berg hoch!“ Er spricht sehr gut deutsch. „Neee Jung, das glaube ich dir nicht!“ Es ist aber so. Wir müssen auf den Jebel Zagora hoch, vorbei an der alten Alevitenburg, der Karavanenstation, wo ich letztes Jahr mit meinem orthopädischen Stiefel hochgewackelt bin.
Die Damenmannschaft holt mich wieder ein und ich bin froh darüber, denn Luschen mag ich nicht. Diskussion, wieviel km wir jetzt haben. Es ist egal, wir sind in der Wüste.
Samir steht grinsend oben am VP: „Ca va?“ „Non, ca va pas!“ Schnell stopfe ich mir ein paar Orangen rein und versuche erneut die Damengesellschaft abzuhängen. Das gelingt mir auf dem extrem schwierigen Pfad nach unten. Doch dann in den engen Gassen der Oase höre ich wieder das bedrohliche Tapp-Tapp kleiner Laufschuhe hinter mir und freue mich.
Gemeinsam laufen wir Richtung Ziel. Weking nimmt mir die Kamera ab, um unseren Zieleinlauf zu fotografieren. Der Kerl ist nicht nur geduscht, er ist auch schnell! Rachid Elmorabity, der zurzeit schnellste Wüstenläufer, mit dem ich auch den Oman Desert Marathon über 165 km letzten Monat gelaufen bin, hängt mir die Finishermedaille um.
Das ist Balsam.
Meine Mädels sind Dank meiner Führung (!) glücklich zusammen mit mir ins Ziel gekommen. Keine Luschenmädels, denn am nächsten Tag geht es zum Geburtsort von Lahcen, um eine besondere Trailwoche zu beginnen. Wir werden die Ersten sein, die die Strecke eines neuen Ultralaufes per Etappenlauf erkunden: Der UTMES ist ein 109 km Nonstop-Lauf im Oktober, organisiert von Mohamad Ahansal. Auf der „afrikanischen Terrasse“, auf dem Dach von Lahcen´s 4x4 die 100 km reise ich zum Fusse des Jebel Bani, weil im Auto eine Mädchengang knuddelt, die sich durch einheimische Läuferinnen vestärkt hat. In der Nacht wird Nicola eintreffen. Sie wird von unserer Trailwoche entlang des „Flusses ohne Fluchtmöglichkeit“ berichten. Endpunkt wird der Ergk Chegagga sein, ein Traum in den Dünen.
01.02.11 | Wüste(n) Gespräche im noblen Baden-Baden |