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03.11.18 - Zagora Sahara Trail

Pfannkuchen und Gänsebraten

Autor: Joe Kelbel

Hinter dem Tizi Tichka Pass (gefährliche Bergwiese) beginnt das authentische Marokko, das ich heute in Kooperation mit  interAir einer Gruppe Läufer auf dem Weg zum Zagora Sahara Trail zugänglich mache.

Auf einer Höhe von 2200 Metern biegen wir mit unserem Allradauto nach Osten, Richtung Telouet ab. Der Palast das großen Pashas Glaoui, in dem Chamberlain, De Gaulle, Eisenhauer und Charly Chaplin wohnten, zerfällt seit 1956. In den Garagen, wo einst fünf Bentleys standen, haben Teppichhändler ihre Ware ausgelegt. Die Einheimischen sind nicht gut auf den Pasha, der bei  Mannesmann in die Lehre ging, zu sprechen. Der Führer, der uns den Palast zeigt, ist regelrecht hasserfüllt.

Einst war der Pasha der Freund der Deutschen, die den Handel über die Karawanenstraße nach Zagora kontrollierten.  Dann wechselte er die Seiten und sympathisierte mit den Franzosen. Wilhelm II schickte 1911 das Kanonenboot Panther nach Agadir („Panthersprung nach Agadir“). Frankreich erklärte sich bereit, Marokko nicht zur Kolonie, sondern zum Protektorat zu erklären. Deutschland erhielt französische Kolonialgebiete in Kamerun und Togo und verzichtete auf seine wirtschaftlichen Interessen in Marokko. In der Kasbah von Ouarzazate steht heute noch die Kanone der „Panther“, ein  Abschiedsgeschenk an den Pasha.

In den 50er Jahren zog der Pasha Glaoui gegen den Sultan im arabischen Norden in den Krieg, der Sultan musste ins Exil nach Madagaskar. Und nun kamen Chamberlain, de Gaulle und Eisenhauer nach Telouet, wo der Pasha mit seinen fünf Ehefrauen und 86 Konkubinen wohnte. Jetzt wechselte der Pasha wieder die Seiten und paktierte mit dem Sultan, holte ihn 1956 aus dem Exil und vereinte das Berberreich mit dem arabischen Norden.

 

 
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Der Palast ist zwar Weltkulturerbe, doch weder die UNSECO, noch Frankreich, noch die Berber haben ein  Interesse, die Kasbah des Verräters zu erhalten. Innerhalb der verfallenen Kasbah sind die Prunkräume erhalten geblieben. Der Raum für die fünf Ehefrauen, mit denen er 15 Kinder zeugte und der kleine Raum für die 86 Konkubinen. Mit deren zahlreichen Kindern bewohnten 1000 Personen den Palast. Die Ruinen der Kasbah von Telouet sind die beeindruckendsten der 1100 Kasbahs des Pashas Glaoui.

Auf unserer Tour entdecken wir eine Steinsalzmine. Einen Marathon, wie in Sondershausen kann man hier nicht laufen. Zu gefährlich sind die Gänge, durch die uns ein alter Mann führt, der zwischen simplen Geräten aus den 50ern wohnt.

Entlang des Oulila Flusses geht es nach Süden. In meinem zweiten Buch habe ich von meinen Entdeckungen erzählt: Den Berg aus prähistorischen Pfeilspitzen, das Grafitti der Matrosen des Kreuzers „Berlin“, die die Karawanenroute Richtung Telouet wanderten, und über die Lagerhäuser in den steilen Felsen, die die Hamburger Kaufleute nutzten.

Ait Benhaddou, die Kasbah „des Stammes des Sohnes von Haddou“, eine arabische Familie, ist auch Welterbe, genau wie die Kasbah des Pashas in Ouarzazate, wo die Kanone der „Panther“ steht.  

 

 
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In Ourzazate ist das Hauptquartier beim Marathon des Sables und touristisch überlaufen.  Wir suchen die Ruhe in der Oase Fint. Im Gästehaus von Rachid treffen wir auf die belgische Läufergruppe, die regelmäßig beim Zagora Trail teilnimmt. Deren Frauen helfen in der Küche die Tajine zuzubereiten, während wir Männer mit den Trommeln den abendlichen Tanz einüben.

Die morgendliche Wanderung offenbart uns den Klimawandel: Das Dorf aus dem 13. Jahrhundert ist verlassen, die Regenfälle der letzten Jahre lösen die Lehmbauten auf.

Der Dades Fluss berstet vor Wassermassen. Die Dades Schlucht mit ihrer gewundenen Straße entlang des Flusses ist ideales Laufrevier. Im nächsten Jahr wird hier für interAir-Kunden von mir ein 10 Kilometerlauf veranstaltet. Ausgangspunkt wird das „Vallée des Figues“, das Tal der Feigen sein, wo es in der Auberge das beste Dinner Marokkos gibt.

Die Wanderung durch das Tal der Feigen führt einen engen Canyon hinauf. „Affenfinger“ nennt man die skurrilen Steinformationen. In den kleinen, kühlen Nischen der Finger liegen Feigen zum Trocknen aus, daraus machen die Berber Schnaps. 50 Umdrehungen hat das Produkt. „Wir sind keine Araber“, sagt der Führer, der uns durch die enge Schlucht nach oben führt: „Wir dürfen alles, auch Schnaps brennen!“

Die Saghroberge hat kaum ein Europäer je durchquert. In den stark zerklüfteten Felsen aus verwittertem Vulkangestein gibt es Edelsteine ohne Ende und einen Tee auf einer Höhe von 2600 Metern.

Unser Chauffeur (das heißt wörtlich Heizer) brettert durch die weglose Landschaft, als kenne er jeden Grashalm. Wegen der vielen Grashalme müssen wir oft für eine Fotopause stoppen. Die Landschaft, dessen Tafelberge an den Mittleren Westen und John Wayne erinnern, ist imposant. Die vieltürmige Kasbah Amerhidil in der Oase Skoura wird gerade von einem Filmteam belagert.

Abends Ankunft in Zagora. Neun deutsche Läufer wollen Bier trinken, doch das gibt es wegen eines Streiks der Lastwagenfahrer nicht. Im Ksar Tinsouline finde ich Restbestände.

 

Lauftag

 

Beim Zagora Sahara Trail (52, 27 oder 10 Kilometer) bin ich jedes Jahr. An keiner   Laufveranstaltung habe ich öfters teilgenommen. Seit letztem Jahr laufen wir die 52 Kilometerstrecke, um daran zu erinnern, dass einst die Karawanen von Zagora nach Timbuktu  52 Tage brauchten. Nach Timbuktu darf man heute nicht mehr, so wie vor 1853, als Heinrich Barth als erster Weißer die Stadt betrat.

 

 
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Der Start des Zagora Sahara Trails ist laut Ausschreibung um 8 Uhr. Was in Europa Jahre dauert, geht in Marokko von heute auf morgen: Der König hatte am Freitag angeordnet, dass er sich an der europäischen Zeitumstellung nicht mehr beteiligt. Davon wurde die Bevölkerung nicht informiert. Schüler kamen erst eine Stunde später in die Schule, Flüge aus Europa kamen eine Stunde „zu spät“ an. Selbst die Satelliten geben immer noch keine korrekte Zeit aufs Handy. Aber nicht deswegen wird die Startzeit mit 8 Uhr angegeben, sondern weil Marokkaner grundsätzlich zu spät kommen. Vor Ort erfährt man die korrekte Startzeit: 9:00 Uhr.

Wir starten pünktlich um 9:30 Uhr. Nach den Marokkanern und Belgiern sind wir Deutsche mit neun Teilnehmern die stärkste Fraktion. Dass unsere Damen die Plätze zwei bis vier belegen werden, wissen wir jetzt noch nicht.

Gewusst haben wir bis dahin auch nicht, dass die Strecken geändert wurden:  Die 27 und 52 km-Strecke führt sogleich hoch auf den Zagoraberg (1030 m). Die Steine sind scharfkantig, das Gelände steil. Schon nach 2 Kilometern stehen praktisch die Endplatzierungen fest. Oben auf dem Berg der überdimensionierte Wahlspruch:  „Für Gott, Heimat, König“, dazu viele militärische Antennen. Wunderbarer Blick über die Oase des Draa-Flusses, der 2000 Kilometer lang ist und in der Sahara versickert.

 

 
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Wir laufen die alte, steinige Militärstraße wunderbar schnell hinab. Vorbei geht es an den Resten der Burg der Almoraviden aus dem 6. Jahrhundert. Die Almoraviden eroberten unter der Führung der Araber 711 das christliche Spanien „Al-Andalus“, die Silberne. Die Schätze der Westgoten lockten. Andere Quellen behaupten, der König der Westgoten hätte die Tochter von Tariq bin Ziyad, dem Feldherr der Araber,  geschwängert, weswegen die Araber in Spanien einfielen. Der Nachname von Rachid Elmorabity, dem fünffachen Gewinner des Marathon des Sables, deutet auf eine Abstammung von den Almoraviden. Rachid wohnt immer noch unterhalb der Burg. Ein Haus weiter wohnten die Ahansal Brüder, die den Marathon des Sables insgesamt 15mal gewannen.

Nach etwa fünf Kilometern sind wir wieder im Tal des Draa, laufen dem Fluss unter prächtigen Palmen entlang. Erster Kontakt mit Sand bremst uns. Erster Kontakt mit Kindern von Familien aus Algerien auch. Sie wurden hier angesiedelt, um die alten Lehmgebäude instand zu setzen. Die Bengel sind nervig wie Fliegen: „Bonjoar, Stilo, Bonbon, Dirham!“ Die Organisation hat hier alle paar Meter Helfer postiert, die sie fernhalten sollen.

Planierraupen haben die hohen Lehmwände, die letztes Jahr noch Schatten spendeten und den Wüstensand im Zaum hielten, plattgewalzt. Die alten Kanäle liegen trocken, die neue Straße ist gut laufbar. Dann empfängt uns die Wüste, die vor wenigen Jahren noch von  Sanddünen dominiert wurde. Jetzt hat sich eine dünne, grüne Schicht aus Pflanzen angesiedelt. Wo mich vor Jahren Nomaden im Zelt bewirteten, ist jetzt eine Verpflegungsstelle, an der ich eine Pause machen muss. Claudi und Kuno holen mich ein, stoppen aber  nur kurz. Ich also hinterher. Ich sehe noch, wie Katharina am VP ankommt, sie hat dringend eine Pause nötig. Im Ziel wird sie mir erzählen, wie glücklich sie war, einfach den Spuren meiner Riesenlatschen (Größe 49) folgen zu können. Manchmal verschwinden Claudi und Kuno in der flimmernden Luft, dann hole ich wieder auf Sichtweite auf. Eine Stunde dauert das Wettrennen.

Als es zum Pass hinauf geht, bremse ich die beiden für ein Selfie mit Selbstauslöser. Claudi ist rot im Gesicht: „ Ich höre Pferde hinter mir!“ Der stille Kuno sagt nichts. Ich murmele leise, dass ich seit einer Stunde frischen Pfannkuchen rieche. Die heiße Luft über den schwarzen Steinen flimmert, ich kann mich nicht konzentrieren, wage aber den Angriff und ziehe vorbei, bis die beiden nicht mehr sichtbar sind. Weiß bekleckste Steintürmchen markieren den Weg. Aber was, wenn das andere Markierungen sind? Obwohl ich die Strecke kenne, bekomme ich Bedenken,  Angst kommt auf.  Angst vor der gnadenlosen Wüstenlandschaft. Es ist heiß, die Sonne sticht.

 

 
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Der Duft von Pfannkuchen  wird von Gänsebratenduft abgelöst. Gänsebraten mit Rotkohl und Klößen. Mein Hirn spielt verrückt, der Duft ist real. Ich muss mich setzen. Alles dreht sich. Was sagte Claudi vor 60 Minuten? „Tritt nicht auf die Steine!“ - Ich habe das nicht kapiert.  Liegen da Schlangen und  Skorpione auf den Steinen? Hier sind doch überall Steine. Ich  habe vergessen, mir die Fersen abzukleben.

Die wenigen Akazien spenden keinen Schatten. Eidechsen flitzen hochbeinig über die sonnenverbrannten Steine, ansonsten gibt es nur Ameisen. Jetzt ein Bier! Eine letzte, brühwarme Dose habe ich noch im Rucksack. Das gibt Kraft. Eine Stunde später sehe ich im ausgetrockneten Wadi das Zelt des VP. Der Rest in der Colaflasche ist heiß, sehr heiß. Die Datteln kann ich nicht essen, Zuckerstücke auch nicht. Orangen gibt es wegen des Streiks der Lastwagenfahrer keine.  

Der Weg ist gut markiert. Niemand vor mir, niemand hinter mir. Wenn ich den Kopf hängen lasse, dann suche ich nach Meteoriten, die müssten doch leicht zu erkennen sein. Aber alle Steine sind schwarz und schmerzhaft.

Nach einer Stunde sehe ich am Horizont ein Auto nach Süden brettern, es ist die Straße nach M´Hamid, wo die Grenze zu Algerien ist.  Doch im Tran laufe ich nach Norden. Irgendwann hebe ich den Kopf, ich bin einen Kilometer in die falsche Richtung gelaufen. Auf der N9 laufe ich nach Norden, nein Süden,  treffe auf eine Wasserstation. Im winzigen Schatten eines Kilometersteines setze ich mich nieder und trinke Wasser.  Bäh! Und jetzt sehe ich am Horizont Konowskies! Habe ich neue Halluzinationen? Oder sind es gebratene Gänse?

10 Kilometer weiter erreiche ich Timtig. Um das Mausoleum eines Marabout, eines Heiligen, sind zahllose Gräber.  Kindergräber, die Kopfenden nur mit Steinen gekennzeichnet. Diejenigen, die überlebt haben, wollen sich mit mir messen: „Bonjoar! Comment tu t´appells?“ Afrika ist grausam, man darf nie Schwäche zeigen. Aber meine Beine wollen nicht mehr.

Der Knirps auf dem Eselwagen drischt dem Tier brutal auf den Arsch, nur um mich zu überholen. Das arme Geschöpf zieht an, ich zieh an. So duellieren wir uns in den staubigen Gassen von Timtig, bis die Maistauden von der Ladefläche fallen. Ich bin Sieger, ziehe hämisch grinsend weiter. Er kriegt Ärger, ich nicht.

Die Ahansal Brüder haben viel für den Umweltschutz in ihrer Heimat getan. Die Wüste ist jetzt sauber, aber nicht die alten Lehmsiedlungen. Mit dem Geld der Touristen kommt das Plastik und kommen die Planierraupen ins Weltkulturerbe des Draatales. Als ich am Ufer Robert überhole, bin ich erstaunt über seinen Zustand. Er muss sich ständig übergeben. Ob er den Bus um 18 Uhr zurück nach Marrakesch erreichen wird? Er wird den Bus erreichen, Manue wird ihn nachher aus der Dusche zerren. Manue habe ich letztes Jahr kennengelernt, sie ist Scout für die besten Hotels, für die besten Mahlzeiten in Marokko und hat für uns alles vor Ort organisiert.

Ich habe den Zagora Berg im Blick, dort muss ich hin.  Doch der Sand bremst mich aus. Auf einer Lehmwand steht „10 K“, das bricht mir den Willen. Am VP frage ich nach.  Es ist die Markierung für die 10 km-Strecke, zu laufen sind nur noch 6 bis ins Ziel. Auf dem Tisch liegt eine Rolle Brausetabletten. Zittrig versuche ich die Dinger in die Wasserflasche zu bröseln, es geht nicht. Ein Helfer fotografiert mich mit meiner Kamera, der andere hilft mir mit den Brausetabletten. So abgetreten war ich schon lange nicht mehr.

In der Oase Amzrou führt eine niedrige Betonbrücke über den Draa. Hier ist auch die Kläranlage für Zagora, die vor zwei Jahren in Betrieb genommen wurde. Das träge Wasser des Flusses ist trotzdem trüb und veralgt. Vor Jahren gab es hier noch Fische.  

Nach der Brücke wird die Laufstrecke zur endgültig zur mentalen Herausforderung, es geht wieder in die Steinwüste. Es gibt keine Kilometermarkierungen, keinen Hoffnungsschimmer.

Das Glücksgefühl stellt sich ein, als ich den Provinzpalast von Zagora passiere: Eine große Gruppe junger Damen jubelt mir zu, klatscht mich sogar ab: „Bravo, Bravo“.  Längst haben heiratsfähige Frauen in Marokko ihre Scheu vor dem großen blonden Ultraläufer abgelegt.

 

 
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Vor dem Zieltor sind die versammelt, die südlich des Hohen Atlas wichtig sind. Jubelnd bereitet man mir eine Gasse, doch bis zur Zeitmessung komme ich nicht,  ich werde mit  Bisous (Küsschen) überhäuft. Dann will noch jeder Zielfotos mit mir. Mit Lahcen Ahansal und Rachid Elmorabity lasse ich mir das gefallen, der Gouverneur wollte aber auch noch. Die Menschenansammlung ist mir zu viel, ich verdrücke mich durch die Palmerai zum Hotel und verzichte auf die Siegerehrung.

Bei Sonnenuntergang sind wir im Wüstencamp der Ahansal Brüder. Ich koste die ersten Früchte der Dattelpalme, die ich vor drei Jahren gepflanzt habe und lasse auf der Düne liegend diesen glücklichen Lauftag ausklingen. Hier bin ich zu hause.  

Der nächste Zagora Sahara Trail findet am Samstag, den 02. Nov. 2019 statt. Flüge Dienstag/Dienstag, oder wer es kürzer mag, Donnerstag/Dienstag, buchbar bei interAir.

 

Informationen: Zagora Sahara Trail
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