8 Uhr Briefing (Anwesenheitspflicht), 8:30 Kontrolle, alles Inschallah, also nur theoretisch, so Gott will, denn kein Mensch ist da, steh alleine hier, mache mein eigenes Briefing.
Andreas arbeitet bei der Botschaft in Rabat, hab ihn gleich an seinem Forerunner als Deutschen identifiziert. Er und zwei Kollegen laufen den Halben, also 24,6 km, Inschallah. Seine Frau Denise läuft den Ganzen, wir bilden die deutsche Fraktion.
9 Uhr Start, bis zur letzten Sekunde melden sich noch Einheimische an, wie ich später feststelle, ohne Lauferfahrung.
Der Extrém Marathon de Zagora hat eine Steigung von 600 Hm laut Lahcen, 850 Hm, laut Ausschreibung, und 1100 laut britischer Messung.
Ich quatsche noch mit dem Japaner Hrufum Oko, er arbeitet in Halle und kennt die Cierpinskis, da wetzen die Leute wie von der Tarantel gestochen los. Ich bin sofort ganz hinten im Feld, zusammen mit den zwei Belgiern, die im April den Marathon des Sables laufen werden.
Kleine Runde durch den Ort, schnell Foto mit den Brüdern Ahansal, dann stehe ich atemlos oben am Ortsausgang, bei km 2 und blicke in die Steinwüste. Am Horizont verschwimmt die Läuferkolonne in der flimmernden Luft. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Einen Weg oder gar Markierungen gibt es nicht und so versuche ich irgendwie dranzubleiben. Die Belgier sind mir zu schnell, ich stolper über Steine und bleibe im tiefen Sand stecken. Bei km 3 sehe ich einen Berber. Von ihm erbettel ich mir eine Konservendose schmutziges Wasser, ich muss zum Läuferfeld aufschliessen, sonst finde ich nie den Weg zurück ins Leben. Also laufe ich am Rande meiner Kräfte.
Es ist ein großer Rundkurs, entgegen dem Uhrzeigersinn zu laufen. Eine kilometerlange Mauer mitten im Nichts, dahinter winzige Palmen und oben auf dem Hügel die ersteVerpflegungsstelle ( R für Ravitaillement ) alle 5 bis 6 km, Inschallah, so Gott will, gibt es Wasser, Orangen und Zucker. Was aussieht wie trockene Pflaumen sind unreife Datteln. Die Startnummern werden zur Durchgangskontrolle notiert.
In der endlosen Ebene hole ich das italienische Pärchen ein, sie werden von einem nervigem Kamerateam begleitet, dann dreht das Team ab. Die schnurgerade Strecke ist sehr gut mit farbigen Steinhaufen markiert. Ein Junge, jünger als seine Trikotnummer, überholt mich, biegt dann unerwartet in die Ebene ab, verschwimmt Minuten später im Wüstendunst. Ein Mann mit Montainbike überholt mich mit einem Abstand von 200 Metern. Auf die Entfernung erkenne ich ein rotweisses Kopftuch, vermute dass dies ein wahnsinniger Deutscher ist, der hier duch die brutale Weite radelt.
Ein alter Turm, eine Pumpstation, kündigt das Draaufer an. Auf den Weg nach unten, durch schreckliche, schmerzende Steine, hole ich noch einige Läufer ein, dann platsche ich ungewollt durch das kalte Wasser. 10 Kilometer gelaufen und ich bin absolut fertig.
Könnte sein, dass wir jetzt durch Ait Khadou laufen, der Wahnsinnige mit dem Rad spricht mich an: „Ah! Endlich ist marathon4you auch dabei! Dann bist du der Joe!“ Der Wahnsinnige ist also weniger wahnsinnig als ich, hat vor Jahren hier einen Campingplatz gekauft und kann jetzt das erste Mal nicht mitlaufen, liest aber gerne unsere Artikel von der Heimatfront.
Bei km 14 ist die Marathonweiche, die Halbmarathonläufer ( 24,6 km!) verlassen uns nun, laufen durch die Oasengärten von Amezrou am Zagoraberg vorbei zurück in die Stadt. Ab hier wird es einsam, sehr einsam. Jetzt ist Gelegenheit, auch ohne Dixi unbeobachtet ein Geschäft zu machen. Womit wir beim Bewässerungssystem wären. Das wird seit Jahrtausenden so betrieben, dass Wasser aus Brunnen in kleine Knanäle hochgepumpt wird. Die Kanäle werden dann geziehlt geöffnet oder blockiert. Sieht sehr gut aus und zwischen den hohen Lehmmauern bleibt es kühl.
Wir laufen weiter in nördliche Richtung durch Arla-ou-Drar, das riesige Biosphärenreservat der Palmenhaine erstreckt sich von Zagora über Quarzazate bis nach Errachidia und steht unter dem Schutz der UNESCO. Mir geht es wieder blendend mit meinem eigenen Tempo, bin absolut happy.
Ein junges Mädchen hängt sich an mich dran, lacht und freut sich über die 15 Kilometermarkierung. Sie ist allerdings ziemlich fehl am Platz hier, läuft 2,3 Schritte und geht dann. Ich versuche ihr klarzumachen, dass sie langsamer laufen müsse. Dann registriere ich, dass vor uns und hinter uns kein Läufer zu sehen ist. Deswegen versucht sie, mit letzten Kräften an mir dranzubleiben. Sie sieht frisch aus, das täuscht aber, sie atmet ungesund, stolpert und fällt hin, kann nicht mehr reden. Ich schicke einen Tuareg auf seinem Fahrrad Hilfe holen, einige Kinder laufen herbei. Ich drücke ihr eine Flasche Wasser in die Hand und setze meine Reise fort.