Die letzte Palme markiert km 17, dann wird es ernst. Sehr ernst, denn die Steinwüste ist endlos weit. Dort hinten bei den Bergen ist km 24, dort beginnt der Anstieg. Also habe ich 7 ewig lange Kilometer durch das Nichts zu laufen. Bis zum Horizont reicht die Reihe der farbig markierten Steintürmchen. Die Berge sind so nah und entfernen sich doch scheinbar mit jedem Schritt.Was soll ich jetzt fotografieren? Hier ist nichts, nur der Schatten eines glücklichen Läufers.
Plötzlich ein VP, wäre beinahe mit meinem Hängekopf vorbeigelaufen. Eine Flasche Wasser, eine Orange und eine Dattel, dann geht es weiter, ewig weiter. Ein Wasserdepot unter einem Busch. Welch Luxus. Großen Respekt für alle Marathon des Sables Läufer, die ihr Wasser und die Vorräte selbst schleppen müssen.
Nach dem nächsten VP folgt der Anstieg zum Pass durch das Djabal Adafane (1027m) Gebirge. Ich laufe hinauf, wenn man das so nennen kann. Stosse immer wieder gegen Steine, das schmerzt. Gute Streckenmarkierung, wenigstens dabei gibt es kein Inschallah. Doch in einer Stunde werde ich diese Aussage revidieren müssen.
Es müsste km 27 sein, als ich oben bin. Foto mit Selbstauslöser und Blick zurück in die weite Ebene. Es ist unfassbar, die Gegend, der Lauf, die brutale Sonne, ich, einfach alles. Nicht ein Läufer sichtbar. Wenn jemand hinter mir sein sollte, hat er mindestens einen Abstand von 6 Kilometern.
Dann wage ich einen Blick auf die andere Seite. Wahnsinn! Absoluter Wahnsinn. Ist das ein toller Moment! Dort unten, das muss das Bivouac Ahansal sein, dort wo die beiden Brüder wohnen. Auch auf dieser Seite ist mindestens auf 6 Kilometer kein Läufer sichtbar, dafür jede Menge Sand, nur Sand. Freudestrahlend hüpfe ich die Düne hinab, und mein Herz auch, versuche den springenden Schatten zu fotografieren. Warum ist hier niemand der mich jetzt fotografiert? Blick zurück nach oben, die Sonne brennt.
Ich bin jetzt 3 Stunden unterwegs, die Ersten dürften jetzt schon im Ziel sein. Dann ein Stein mit der Zahl 27. Das kann doch nicht sein! Je weiter ich laufe desto weniger Markierungen gibt es, bis schließlich das große Rätselraten anfängt. Ich versuche die Richtung zu halten, doch das ist schwer, da ein Umlaufen der Dünen zu verlockend ist. Von einer Düne aus erspähe ich etwas Unnatürliches und laufe darauf zu. Es ist ein angenagter Oberschenkelknochen und eine Rippe. Das ist eine Markierung, Inschallah. Was jetzt in mir vorgeht, kann ich nicht beschreiben. Glück, Zufriedenheit, ich weiss es nicht, es ist alles umwerfend. Einige Kilometer weiter ein Palmenbusch, dahinter am Horizont Zelte, und endlich wieder Spuren meiner Vorläufer.
Also auf zu den Zelten. Und tatsächlich sitzt dort ein Tuareg und bewacht den VP. Es muss Qued el Farr sein, es könnte nun Kilometer 29 sein. Er weist mich an, nach Westen zu laufen. 2, 3 Pfeile auf den Dünenkämmen, dann beginnt wieder die Suche. An Spuren kann man sich nicht orientieren, davon gibt es zuviele. Ich will nicht immer auf die Kämme hinauflaufen, bzw gehen, das ist sehr anstrengend und schmerzhaft auf der anderen Seite, denn da geht es jeweils extrem steil hinab. Die Dünen sind nicht hoch, 3, 4 Meter, aber sehr nervig und es ist nicht einfach, die Richtung zu halten. Hinter so mancher Düne verbirgt sich ein verlassenes Zelt. Keine Markierung sichtbar, von oben sehe ich am Horizont ein Palmenband, nehme die höchste Palme als Peilung. Habe keine Angst, bin unglaublich fit, genieße jede Sekunde, jedes Sandkorn.
Meine Füße kann ich nicht bewegen, die Schlappen sind randvoll mit Sand. Als der Boden fester wird, kann ich sie entleeren. Ein roter Stein in der Ferne hat nun meine volle Aufmerksamkeit. Es ist Km 32 und nach 30 Minuten die erste Markierung. Nkhilla vielleicht, oder Tamazirt ich weiss nicht. Ein Fahrradfahrer fragt mich nach meinem Befinden, es scheint ein Streckenposten zu sein, fährt hier am Rand des Sandmeeres Patrouille. Ich kann mir vorstellen, dass meine Mitkämpfer auf einer Breite von einem Kilometer aus der Dünenfalle heraustaumeln.
Im Palmenhain wieder Menschen. Traditionell gekleidete Personen lassen sich nicht fotografieren, Frauen laufen weg. Sehe ich so schlimm aus? Durch die Oase zu laufen ist der Hit. Die Palmen und hohe Lehmmauern spenden Kühle. Weisse Pfeile auf den Mauern weisen eindeutig die Richtung.
Dann sehe ich eine mächtige Terrassenstadt. Das ist dann wohl Tamazirt. Hier ist ein VP. Ich frage, wieviel Läufer vor mir sind. 42 sind es. 42 von geschätzten 100 Läufern. Die Kinder sind begeistert. Seit den Siegen der Ahansal-Brüder sind Marathonläufer Halbgötter. Sie rufen, klatschen ab, laufen mit, betteln nach meinen Orangen, schauen mich mit offenen Mund an oder zupfen an meiner Kleidung
Entlang des Draatales geht es einen gefährlichen schwieren Pfad Richtung Zagoraberg (974 m). Auf dem Berg befindet sich die Ruine einer Almoravidenfestung (11.Jahrh.), ist militärisches Sperrgebiet. Und dann bin ich sprachlos, ich sehe einen Läufer! Wirklich, da ist noch ein Läufer. Km 38 und da krebst Bernard der Franzose vor mir rum. Der ist fertig. Ich spreche ihn mehrmals an, er reagiert nicht. Ich tippe ihn an , muss ihn förmlich aufwecken, dann lacht er halb zahnlos in die Kamera.
Es geht durch den Draa, da liegen zwar Sandsäcke, doch die treffe die nicht mehr, hole mir wieder nasse Füsse. Zusammen mit dem Sand gibt das eine eklige Mischung im Schuh. Aber eine wunderbare Laufstrecke, sehr schön, fantastisch. Etwa bei km 41 sehe ich fette Fische, es sind hunderte. Ich drücke den Auslöser, da sind sie alle weg. Das gibt’s doch nicht!
Ortseingang. Diego Zarba, der Extremtouren-Veranstalter aus Argentinien, joggt gerade zusammen mit seiner Frau, erkennt mich, kriegt sich gar nicht ein, mich hier zu sehen. Die Belgier, ich glaube die waren es, laufen auf mich zu, reichen mir Wasser, ich bettel nach Bier. Ist nicht. Einheimische murmeln ehrfurchtsvoll, verbeugen sich. Die Strasse hinauf und dann laufe ich unspektakulär durch den Zielbogen. Irgendwas mit 5:15 Stunden. Der letzte Läufer kommt nach 8,5 Stunden ins Ziel. Der Bärtige lief ohne Startnummer, er erhält 5 DH Sozialhilfe, im Monat. Für zwei Monatsgehälter schicke ich ihn Bier holen. Die drei Gewinner wollen unbedingt für marathon4you fotografiert werden.
Langssam dämmert mir, was für eine Tour ich hinter mir habe. Das Erlebte bleibt im Kopf und tief im Herzen. Ich kann nicht ausdrücken, wie bewegend der Tag war, bin überwältigt, das war großartig. Ich danke all den freundlichen Menschen hier in Zagora, die es mir ermöglicht haben, den schönsten Lauf meines Lebens zu finishen.
„Der Weg zum Ruhm führt durch die Paläste, der zum Gold durch die Basare, der zum Glück durch die Wüste.“
Meine neuen Freunde von der deutschen Botschaft haben einen Schiffscontainer Bier nach Rabat geordert. Lecker Tajine im Tontopf mit spitzhaubigem Deckel. Im schönsten Garten der Stadt „Chez Ali“(150 DH die Nacht) beginnt das Jahr, in dem ich wieder hierher zum Marathon kommen werde, falls ich hier weg will oder morgen hier wegkomme. Inschallah!
01.02.11 | Wüste(n) Gespräche im noblen Baden-Baden |