Die Ampel! Sie blinkt gelb! Weiss nicht, wie die das geschafft haben! Vorbei geht es am Hinweisschild „ 52 Tage nach Timbuktu“. Es ist die alte Karavanenstrasse, über die die Sklaven aus Mali kamen. Morgen früh ist hier Treffpunkt für diejenigen Läufer, die verrückt nach Wüste sind. Morgen, am 28.12. laufen wir also ins neue Jahr. Das Fernsehteam m2 wird uns begleiten. Jetzt erstmal laufen wir 47 km und 1500 hm. Das heißt jetzt nicht, dass es so ist, dieses Jahr haben wir ein wenig mehr. Auch höhenmetermäßig gibt es richtig was drauf. Ich rechne damit, dass wir nach 7 Stunden die besten Europäer sein werden. Das ist dieses Jahr nicht schwer. Es gibt sonst keine und die rotweinverseuchte Gesichtsbedeckung der Fledermaus lässt mich grinsen.
Wie all die Jahre geht es zunächst Richtung Flughafen. Der wird mittlerweile einmal pro Woche angeflogen. Sicherheit wird groß geschrieben, EU-Gelder machen den Flughafen zum Hauptarbeitgeber von Zagora. Beamte freuen sich über die wöchentliche Regulierung der „Flüchtlingsströme“, was auch hier zwei Stunden dauern kann.
Wir kommen zum Draa Fluss. Vor 12 Monaten hatte ich von den 40 Toten berichtet, die es hier bei der Überschwemmung gab.Touries wurden mit Hubschrauber ausgeflogen Es gibt jetzt eine neue Brücke, die schwebt fünf Meter über der alten. Wir Läufer haben eine Behelfsbrücke, auf der kommen uns die schnellen 10-Kilometerläufer entgegen. Die schicken sogleich unaufmerksame Mitläufer ins glasklare Wasser. In Afrika heult man deswegen nicht, man lacht. Dem Stärkeren, Schnelleren wird Respekt gezollt.
Einem Deutschen wird wenig Respekt gezollt. Es gab zu viele Läuferinnen, die Bonbons und Kugelschreiber verteilten. „Never feed the pigeons!“ müsste hier überall stehen. Lahcen verspricht ein Geschenk für Kinder, die 20 Wasserflaschen der Läufer abgeben. Das führt dazu, dass man uns die Flaschen aus den Rucksäcken klaut.
Die Ahansal-Brüder machen wirklich viel für die Sauberkeit der Landschaft. Ich habe das Land vor Jahren gesehen. Da lieferten sich Plastiktüten einen Wettlauf mit den rollenden Büschen. Es ist sauber geworden, verdammt sauber! Es ist gut geworden. Die Ahansals verdienen kein Geld an den Läufen, machen das, was die Provinzregierung machen sollte. Aber die macht lieber Ampeln, das dient ja der Sicherheit!
Natürlich ist diese Brücke, wie so vieles in Afrika, eine Fehlplanung. Deswegen bekommt jeder nasse Füsse, die sogleich vom Sand gepudert werden. Das gibt Blasen vom Feinsten.
Wir laufen nun durch das UNESCO Weltkulturerbe, der 1100 Kilometer langen Flussoase des Draa. Natürlich nicht 1100 km, etwa 15 laufen wir kreuz und quer durch die mit hohen Lehmmauern geschützten, kühlen Wege. Der viele Regen der letzten Jahre hat den Lehmmauern schwer zugesetzt, die zahlreichen Kanäle nagen an den Wegen.
Aus der Hüfte schieße ich Fotos, man will hier nicht fotografiert werden. Oft ist das Geschrei groß, wenn ich eine Frau ablichte, die ihre ungewaschenen Haare unterm Kopftuch versteckt. Die jungen Mädchen sind anders, haben schon fliessendes Wasser, zeigen gerne ihre Schönheit.Habe mich lange beschäftigt mit den Leuten hier. Auch darüber schreibe ich in meinem Buch, das im April erscheint. Am 17.04.16 beim Bilsteinultra, wo die Deutsche Trailmeisterschaft stattfindet, halte ich einen Vortrag. Wer es bis dahin nicht aushält:
Am 29.01.16 gibt es einen Vortrag von Mohamad Ahansal um 19 Uhr im Gasthaus Mark Indersdorf: „Verrückt nach Wüste“. Meine Überschrift ist also von Mohamad, der versteht, warum ich so bekloppt bin und hier in Zagora laufe.
Die HM-Läufer verabschieden sich jetzt, wir biegen ab nach Osten. Die Wüste ruft! Die Strasse nach M´Hamid ist schwer gesichert, wir kommen unter hohem Polizeischutz, unterstützt vom Militär, sicher über die gänzlich autofreie Strasse. Wir sind bei km 20, Gisi macht keinen guten Eindruck und ich passe mich an. Bis zum Horizont stehen die weissgestrichenen Steinmännchen, die Sonne brennt das Resthirn weg. Etwa 20 Grad haben wir dieses Jahr, das ist perfekt. Aber der IQ ist am Arsch und der geht auf Grundeis. Ich sehe vollgekackte Windeln und Kotztüten, die im Bus rumrollen, Penner, die meine Tasche plündern und Gisi verschwimmt hinter mir am Horizont. Ich finde alles geil, bin auf Lauf-Droge, bin „Im Rausch der Tiefe“. Bin Jacques, tauche hinab in die Tiefe, ohne Atemgerät, hinab in die weite Tiefe….. hinab in die Wüste, will allein sein, bin dann mal weg.
Vor Jahren hätte niemand einen Cent für diesen steinigen Restposten der Natur gegeben, jetzt sehnen sich gestresste Europäer nach Sand, der Weite und der Ruhe der Wüste. Es gibt keine Böller und keine marodierenden Nordafrikaner, es gibt leuchtende Sterne und stundenlanges Glotzen in die Glut des Lagerfeuers. Ich bin daheim, ich bleibe hier.
Ich habe es satt, den Briefkasten, meinen email account oder den Klodeckel zu öffnen. Ich bekomme einen Strafzettel, weil ich am abgesenkten Bürgersteig parke, in der 30er Zone zu schnell bin. Zahle 139 Euro weil „Smoke on the Water“ zu laut ist, zahle 30 weil es zu geil ist, von der Brücke zu pinkeln. 280 vor dem Zebrastreifen, 110 für zwei Stangen Kippen, bekomme eine Abmahnung, weil ich Pornos runterlade. Ich bin ein Verbrecher und zuhause ist Bürgerkrieg. Die Nachrichtenlage ist verwirrend. Lahcen sagt, das Silversterfeuerwerk wäre in Deutschland jetzt verboten, es gäbe Ausgangssperre. Interessant, nordafrikanische Medien sind schneller als die Münchner Polizei.
Der Jebel Bani ist ein 1000 Kilometer langer Gebirgszug, der das Land teilt und dem Draa -Fluss Probleme macht. Mir auch. Ich habe auf Gisi am VP gewartet. Dort wird kontrolliert. Neun Läufer sind verschwunden. Kann passieren, auch hier ist Schengen.
Die Wüstenmelonen sind absolut giftig, zerreissen dir die Magenschleimhaut. Es gibt mehr Tote durch diese Kugeln, als durchs Verdursten. Mit Aktivkohle sollen sie geniessbar sein, es gibt aber genug andere Verpflegung. Oben spachtel ich eine Dose Zwiebelmettwurst mit Pumpernickel. Ich bin Profi, genieße den Blick über die grandiose Landschaft. Man kann etwa 50 Kilometer weit schauen. Ich kenne jeden Flecken dieser Wüste, kenne die Pflanzen, die Steine und gottweisswas. Ich weiß, wie lange ich brauchen werde, die Ebene zu bezwingen. Wer gut ist mit den Augen, der erkennt die Antilopen, die das Land vollknödeln. Sieht aus wie Dattel. Khadija fotografiert jede Dattel, sie ist ja nur 10 Kilometer gelaufen.