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05.07.14 - Zermatt-Marathon

Über den Dächern von Zermatt


„Runners welcome“


Piep, piep. Ich laufe über die Zeitmessmatte bei Kilometer einundzwanzig. Strahlender Sonnenschein begleitet mich bei meinem Stadtdurchlauf. 14 Grad und Mittagszeit, sagt mir die Digitalanzeige am Geschäft eines Juweliers. Zum Einsamkeit genießen ist heute der falsche Zeitpunkt. Die Sommer- oder Tagestouristen stehen indes ein wenig ratlos herum und fragen sich, wo sie hier hineingeraten sind.

 
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Die meisten entsprechen dem Standardbild des modernen durchtrainierten Sportlers - tragen aber weder Snowboard noch Carving-Ski an den Füßen. Die fünfhundert Läufer des Halbmarathons sind ebenfalls schon unterwegs. Unter ihnen auch zwei Bergläufernovizen aus Berlin – Natascha und Christian. Kaum wurde der Halbmarathon zur Anmeldung freigeschaltet, haben die beiden sich dafür angemeldet. Zum Glück, denn der Halbmarathon war blitzschnell ausgebucht.
„Seid ihr verrückt?“, empörte sich meine kluge Tante, als sie vor einem halben Jahr von der Läufer-Idee der beiden erfuhr und riet dringend davon ab. Sie meinte, ein Berglauf sei für Berliner Flacheier ungeeignet, davon wollen sich die beiden aber lieber selbst überzeugen.

Ich laufe indes mitten durch das quirlige Treiben auf Zermatts Hauptdurchgangsstraße. Vorbei an unüberschaubarem Matterhornkitsch,  Walliser Wurstdelikatessen und gebackenen Matterhörnlis, unzähligen Ski Service- und Bike Rental Geschäften, denn auch in diesem Punkt wird Zermatt den Standards eines Alpensportorts gerecht. Alle Sprachen der Welt feuern mich an, andere fotografieren. Dazwischen Ski- und Snowboardfahrer auf dem Weg zum Sommer-Skigebiet „Matterhorn Glacier Paradise“.


„No Sports“


Tradition und Moderne liegen nebeneinander. „Sun Valley“, „Everest“ und  „Yukon“ heißen die Häuser und Chalets. „Zermatter Grand Hotel“ steht in Goldbuchstaben auf dem 1879 eröffneten Hotel. Ihm gegenüber das älteste Hotel Zermatts, das „Monte Rosa“, mit seinen roten Fensterläden. Hier logierte schon 1881 Theodore Roosevelt, zukünftiger Präsident der USA, Walt Disney oder auch 1894 Winston Churchill der übrigens im gleichen Jahr die Dufourspitze mit einem Bergführer bestieg. Weiter führt die Strecke am modernen Matterhornmuseum mit alter Geschichte und dem 1900 erbauten Gemeindehaus vorbei.  In der Seitenstraße am Kirchplatz befindet sich der Bergsteigerfriedhof. „Am Matterhorn geblieben“ steht auf einem Stein. Die Kosten für einen Bergführer zur Begleitung auf das Matterhorn betrug 1894 laut einer Verordnung einhundert Schweizer Franken, ein zusätzlicher Träger kostete siebzig. Viele Bergführer wurden Opfer ihres Berufes.

Auf den Postkartenständern der Stadt sehe ich IHN zum ersten Mal. Nun laufe ich direkt auf ihn zu. Edelmütig zeigt er sich, umhüllt von Wolken, gibt nur wenig von sich preis. Ich bin sofort dem Zauber des Matterhorns erlegen, der Kostbarkeit für den Augenblick. Gibt es denn so etwas? Genau jetzt führt die Streckenführung in die entgegengesetzte Richtung. Das Bedürfnis, mich umzudrehen wird ständig größer. Mühelos gondeln die Touristen im Matterhorn Express über meinen Kopf hinweg hinauf auf 2.900 Meter zum „Trockener Steg“.  Nun folgt ein Höhentraining im Schnelldurchlauf.

 
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Langatmig laufe ich über den Dächern von Zermatt. In Gedanken laufe ich nicht aufwärts, sondern fahre mit Skiern, mal in kurzen, mal in weiten Schwüngen den Hang hinunter. Es funktioniert, mein Schritt wird für einen kurzen Moment einfacher und dynamischer. Die Strecke des Zermatt Marathons folgt dem Weg der Gourmets. Eine Stunde und zwanzig Minuten nach Tufteren, zeigt das gelbe Schild den Wanderern.

Ich bin auf 1.800 Meter Höhe. Nicht nur die Serpentinen nehmen mir heute den Atem. Bei Kilometer dreißig und 2.200 Metern ü. M. schnaufen viele noch mal durch. Mehr als eintausend Höhenmeter liegen noch vor uns. Mountainbiker stürzen sich in Rüstungen über die Skipisten und einstigen Rinderalmen Zermatts in die Tiefe. Wenig hat hier noch mit dem Reich von Heidi und dem Geißen-Peter zu tun, nur dass ich mich fühle wie der Alm-Öhi kurz vor dem Ruhestand.

Roland zieht wieder einmal an mir vorbei. Mit seinen achtzig Jahren ist er sehnig und durchtrainiert, lässt sich von ein paar Hügeln doch nicht aufhalten, fegt in großen Schritten über die Strecke und setzt zu Höhenflügen an. Kurz starte ich ein Verfolgungsrennen, das ich nicht gewinnen kann. Ich stolpere hinter ihm her. Als Bergläufer mit einer Startnummer um den Bauch will man sich abheben von den üblichen Tagesausflüglern, den Wanderurlaubern und ganz zu schweigen vom gemeinen Spaziergänger. Ich habe die Geschwindigkeit eines Skitourengehers. Dem Wanderer soll's recht sein.


Und ewig lockt das Matterhorn


Immer wieder lugt der Zipfel des Matterhorns hinter den Wolken hervor. Immerzu zeigt er sich in einer anderen Facette, verändert sich von Kilometer zu Kilometer. Wenig später stehe ich am Ausstieg der schnellsten Standseilbahn der Schweiz. Die unterirdische Standseilbahn Sunnegga ist einigen vielleicht noch als „Alpen-Metro“ bekannt. Dort ist eine weitere Verpflegungsstation aufgebaut.

 
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Dankbar trinke ich die warme, salzige Brühe und verweile einen Moment. In weniger als fünf Minuten fährt das spacige Gefährt fast geräuschlos die Wintersportler oder Sommertouristen zur „Sonnenecke“ von Zermatt. Ich schaue mich um, kann mir den gleichen Platz im Winter vorstellen: Wie ich hier stehe, mit Snowboard oder Ski, wie ich mich nicht entscheiden kann, ob ich rechts- oder links hinunter schwingen soll. Die Aussicht ist der beste Energieriegel für den Kopf.

Über einen schmalen Trail geht es nun aber auch für mich, wenn auch nur zu Fuß, bergab. Vor mir liegt ein Streckenprofil wie eine Hängematte: Erst seicht abwärts, um am Ende steil aufragend auszulaufen. Mich überkommt das Bedürfnis, hier Skifahren zu dürfen. Die salzige Brühe macht Durst, ich denke nur noch ans Trinken, da ist auch schon der Weiler „Grünsee“ mit dem gleichnamigen See auf 2.300 Meter ü. M. erreicht. Ein großer Becher Wasser wird mir schon entgegengestreckt.

Noch völlig dehydriert verstehe ich erst gar nicht, was Eberhard hier macht. Der Ort ist sehr abgelegen und nur über Bergwege erreichbar. Ich setze mich zu ihm auf den Stein. „Ich warte auf Angelika“, erzählt er mir. Eberhard war mit den Halbmarathonläufern gestartet. Ja klar, warum sollte man auch sonst da oben sitzen? Er ruft mir noch hinterher: „Hier beginnt der schönste Streckenabschnitt!“ Schon bin ich auch mittendrin auf einem wunderschönen abwechslungsreichen Trail, der an der Wintersportinfrastruktur, also den Fangnetzen endet. Heute ist alles und jeder gesichert. Was waren das noch für Zeiten, als wir uns mutig und ohne Helm und Rückenprotektor die Hänge runterstürzten?

 

Informationen: Zermatt-Marathon
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