Auch die Verpflegungsstelle kommt wie gerufen. Nach genauem Plan, den jeder Teilnehmer kennt, gibt es Wasser, Tee, Iso, Tee, Cola, Bouillon, Riegel, Gel und Bananen (was vergessen?). Alles in rauen Mengen. Besser wird man nirgendwo versorgt. Und freundlicher auch nicht.
Weiter geht’s Richtung Täsch. Es riecht nach frisch gemähtem, würzigem Gras. Uralte Heuhütten aus schwarzem, verwittertem Holz stehen am Weg. In Täsch (1446 m – km 15,8) ist für den Autoverkehr Endstation. Fast 4000 Parkplätze stehen zur Verfügung. Alle 20 Minuten fahren Züge nach Zermatt. Nur 12 Minuten dauert die Fahrt, zu Fuß dauert’s deutlich länger. Hat man nämlich über den Hohsteg die Vispa gequert, wartet ein schmaler Pfad durch wechselndes Gelände auf uns. Von einer Anhöhe aus schaut man auf Zermatt. Zahlreiche Baukräne sprechen für eine anhaltend gute Konjunktur. Die weltberühmte Bergpyramide hält sich hinter dichten weißen Wolken verborgen. Schade, aber der Berg der Berge hat noch eine Chance. Der Tag ist noch lang.
Um 12.20 Uhr muss man in Zermatt (1616 m – 21 km) sein, sonst wird man aus dem Rennen genommen. Ist man einigermaßen trainiert, sollten die 3:20 Stunden für die Halbdistanz kein Problem sein. Bevor es zum großen Schaulaufen durch die renommierte Bahnhofstraße kommt, kann man sich ausgiebig erfrischen und stärken.
Zermatt hat noch keine 6000 Einwohner, bietet aber fast dreimal so vielen Gästen Quartier. Im Sommer ist es vergleichsweise ruhig, Hauptsaison sind die Wintermonate. Das war zu Beginn des Tourismus ganz anders. Die sechs Betten in seinem Chalet konnte Alexander Seiler 1853 nur in den Sommermonaten vermieten. Die Geschäfte liefen gut und er konnte die Kapazitäten nach und nach erweitern. Sein „Monte Rosa“ war das erste Hotel in Zermatt. Der Name war wohlgewählt, denn der bis zu 4618 m hohe Gebirgsstock zog immer mehr Bergsteiger, vor allem aus England, an.
Alle Versuche, das Matterhorn zu besteigen, wurden bis dahin von der Italienischen Seite aus unternommen und waren gescheitert. Edward Whymper versuchte deshalb seinen Freund Jean-Antoine Carrel für seinen Plan zu gewinnen, die Bergpyramide von Zermatt aus zu besteigen. Vergeblich. Ohne Whymper was zu sagen, startete er von Breuil-Cervinia aus einen erneuten Versuch. Als dieser davon erfuhr, stellte er schnell eine siebenköpfige Gruppe zusammen, die dann auch tatsächlich am 14. Juli 1865 über den Hörnligrat den Gipfel erreichte. Weit unten sahen die Gipfelsieger Carrels Gruppe, die erst drei Tage später ihr Ziel erreichte. Allerdings mussten beim Abstieg vier Bergsteiger aus Edward Whympers Seilschaft das Abenteuer mit dem Leben bezahlen, als sie über die Nordwand abstürzten. Das gerissene Seil, Ursache der Tragödie, ist im Museum ausgestellt.
Das Hotel „Monte Rosa“ gibt es übrigens noch heute. Es begründete die Hoteldynastie der Seilers, zu der weitere Luxusherbergen und Residenzen gehören. Und das Matterhorn erlebt jedes Jahr den Ansturm von 3000 Alpinisten, die sich auf den Weg zum Gipfel machen. Weil Marathonis doch gerne Statistik führen, hier eine Zahl: Ulrich Inderbinden hat 371mal das Matterhorn bestiegen, das letzte Mal als 89jähriger! Und auch das darf nicht verschwiegen werden: Über 500 Menschen sind bisher am Matterhorn ums Leben gekommen.
Die noble Bahnhofstraße mit den teuren Schmuck- und Uhrenläden liegt hinter uns. Dort, wo es die Dorfgasse aufwärts geht, kann sich auch ein schnöder Souvenirhändler oder Rösti-Bräter einen Laden leisten.
Wir laufen eine kurze Schleife Richtung Blatten, einer kleinen Almhüttensiedlung, und sind gleich wieder zurück im Ort, um den alpinen Teil der Strecke zu erledigen. Ehrlich gesagt bin ich froh darum. Die Lauferei bis hier hin hat mich ziemlich zermürbt. Jetzt kann ich ungeniert marschieren.
660 Höhenmeter und knapp 8 Kilometer auf guten Wegen hinauf nach Sunegga sind nicht extrem und manches Stück wird auch in meiner Preisklasse sogar gelaufen. Ich spüre einen verdächtigen Schmerz in der Wade. Kündigen sich da Krämpfe an? Das wäre ja mal was ganz Neues und würde mir gerade noch fehlen.
Los werde ich das lästige Ziehen nicht, bis wir die Verpflegungsstelle Patrullarve (2000 m – 28,8 km) erreichen. Dort kümmern sich gerade zwei Mädels hingebungsvoll um Werners Fahrgestell. Als ich mich im Stuhl daneben niederlasse, ist eine davon gleich bei mir. Ich brauche nur auf die Wade zeigen, schon geht’s los. „Aha, da haben wir’s“, glaubt sie fachkundig zu wissen. Dem Schmerz nach zu urteilen, liegt sie richtig. Auf mein wehleidiges „Jaaaa“ hin intensiviert sie ihre Behandlung und nach ein paar Minuten ist das Problem für den Rest des Tages behoben. Danke noch einmal von hier aus.
Je höher man steigt, umso grandioser werden die Ausblicke, vor allem auf das Matterhorn, das sich hier von seiner schönsten Seite zeigt. Leider halten sich hartnäckig ein paar Wolken. Nach knapp vier Kilometern erreichen wir dann Sunegga (2262 m – 32,5 km), eine phantastische Sonnen- und Aussichtsterrasse hoch über Zermatt. Wie immer, will ich hier nicht weiter. Es ist zu schön. Vor allem etwas unterhalb am Leisee, wo man die prachtvolle Bergwelt gleich doppelt sieht. Schmal ist auch der Pfad, auf dem es zunächst noch etwas abwärts, dann aber steil bergauf geht. Vor mir laufen Walter und David, zwei Amis. Walter machte letztes Jahr an seinem 75. Geburtstag den Chicago Marathon. So was erfährt man heutzutage mit einem einzigen Blick auf das Shirt des stolzen Läufers.
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