Wer am Start steht, möchte auch sein Ziel erreichen. Je nach Anforderung des Wettkampfes kann dieser Wunsch nicht immer in Erfüllung gehen. Für mich ist aber wichtig, dass die Rahmenbedingungen stimmen, d h. der Veranstalter alles tut, damit ich gesund meinen Plan erfüllen kann.
Dass dies nicht immer leicht ist, dafür ist der Zugspitz Ultratrail in diesem Jahr ein gutes Beispiel. Vor einer Woche lag die Großstadt München im Zentrum eines schweren Unwetters. Ähnliche Voraussagen gibt es aktuell für das Rennwochenende in Grainau. Deshalb hat man sich entschieden, die beiden Paradedisziplinen, den 102 km langen Ultratrail und den 82 km langen Supertrail XL zu streichen und die Läufer auf die „nur“ 64 km lange Strecke des Supertrails zu schicken. Zusätzlich wird der Start aller Disziplinen auf 8 Uhr vorverlegt, denn die Gewitter sollen erst am späten Nachmittag einsetzen.
Wenn man bedenkt, wie viel Training ein Sportler in so eine Mammutdistanz stecken muss, ist es leicht nachvollziehbar, dass die Enttäuschung bei manchen groß ist. Andererseits sind die Veranstalter für die Läufer verantwortlich, Haftungsausschlussvereinbarung hin oder her. Bei so ungünstigen Prognosen eine Ultradistanz von bis zu 27 Stunden Länge in unwegsamen Bergregionen durchzuziehen, wäre einfach fahrlässig.
Die ersten Infos über die Absagen erreichen uns per SMS am Freitagnachmittag noch bevor wir ankommen. Laura und ich haben uns für den 39 km langen Basetrail XL angemeldet, Norbert will beim Supertrail starten. Der vorverlegte Start ist uns ganz recht. Wir holen unsere Startunterlagen im Kurhaus, noch ist die Läuferschar übersichtlich. Die Marathonmesse befindet sich Outdoor zwischen dem Kurhaus und dem Musikpavillon, der eigentlichen Eventlocation. Nicht nur wir nutzen die Anwesenheit der großen Sportartikelhersteller zu letzten Einkäufen, Erdinger schenkt kostenlos Alkoholfreies aus, Liegestühle stehen bereit, die heißen Temperaturen lassen Freibadfeeling aufkommen.
Bei der Pasta-Party im Musikpavillon gibt es Nudeln oder Reis mit verschiedenen Soßen, dazu Wasser und Fruchtjoghurt. Obwohl ich meine Portion kaum schaffe, kann man sogar Nachschlag holen; trotzdem reicht es auch für den letzten hungrigen Läufer. Diese Verpflegung kann man wirklich weiter empfehlen.
Briefing um 19Uhr30: der Musikpavillon platzt aus allen Nähten. Jeder will die neuesten Informationen hören: Es liegt reichlich Schnee auf der Supertrail-Strecke und um den Osterfelderkopf. Die letzte Gipfelrunde wird deshalb in umgekehrter Richtung gelaufen. Hoch im Schnee, runter auf der Straße. Ich verlasse mich auf den Veranstalter - das wird schon klappen.
Die Shuttlebusse nach Leutasch für alle langen Läufe, nach Mittenwald für den Basetrail XL und nach Garmisch für den 25 km Basetrail fahren um 6 Uhr. Das wird schwierig, weil nun auch die Ultratrailläufer, die ja eigentlich vom Startort Grainau gelaufen wären, mit dem Bus fahren müssen. Das sind mal knappe 3000 Fahrgäste, die vor 8 Uhr an ihren jeweiligen Startorten sein sollten. Wir sind gespannt, wie das alles klappen wird.
Ansonsten gibt es noch die Hinweise zum Verhalten bei Gewitter und zum Pflichtgepäck, dann werden wir entlassen.
Am nächsten Morgen verlassen Laura, Norbert und ich frühzeitig das Hotel, um beim Bustransfer nicht in Stress zu geraten. Das halten die meisten wohl ebenso und so fahren die Shuttles im Minutentakt. Die ca. 2000 Läufer nach Leutasch werden bevorzugt abgefertigt, denn sie haben die längste Fahrt. Chaos gibt es keines und zum Schluss kommt wohl auch jeder Läufer pünktlich zu seinem Startort.
Laura und ich kommen so gegen 7 Uhr in Mittenwald auf dem Bahnhofsvorplatz an. Die Zeit reicht, um unsere Taschen mit den Wechselkleidern abzugeben und um 10 Minuten vor dem Start an der Kontrolle der Pflichtausrüstung anzustehen. Diese erfolgt stichprobenartig mit Augenmerk auf Handy, genügend Wasser und einem Notfallset. Regenjacke finde ich ebenfalls wichtig, vorgeschrieben ist noch das Mitführen langer Laufbekleidung, sowie Mütze und Handschuhe.
Noch einmal der Hinweis, bei Gewitter den nächsten Verpflegungsposten anzusteuern. Dann dröhnt schon „Highway to Hell“ aus den Lautsprechern, es wird heruntergezählt und der Bürgermeister von Mittenwald gibt das Startsignal. Laura und ich laufen getrennt, sie ist mittlerweile deutlich schneller und ich darf mich nicht hetzen lassen. Das Wetter ist mild und sonnig, das wird ein schöner, warmer Tag.
Zunächst laufen wir ein Stück durch Mittenwald, viele Einwohner stehen am Gartenzaun oder auf dem Balkon und feuern uns an. Aber schon bald geht es am Lainbach entlang, über ein Brückchen und spürbar bergauf. Bereits von weitem erkenne ich vor mir Stau. Niemand scheint sich daran zu stören, lustige Sprüche machen die Runde. Es dauert etwas bis wir uns langsam in Bewegung setzen. Vor uns liegt ein schmaler gut gangbarer Pfad in Serpentinen bergauf, direkt am Lainbach, der hier in Stufen nach unten fällt.
Ich gelange zügig nach oben, dann wird es flacher. Ein Mitarbeiter der Bergwacht verabschiedet uns. Auf schmalem Pfad verlassen wir den Wald und laufen zwischen Wiesen zur Maria-Königin-Kapelle. Dahinter liegt malerisch das Karwendelmassiv. Wir laufen direkt an der Kapelle vorbei und ich bewundere die aufwändige Gestaltung des Firstes und die bunten Vorraum- und Deckenfresken.
Schnell erreichen wir den ca. 12 ha großen Lautersee, der auf 1000 m Höhe liegt. Der Biergarten hat wohl noch geschlossen und so liegt der blaue See wunderbar ruhig im Sonnenlicht. Unser fein geschotterter Weg führt an der Lautersee Alm nach oben, wir gewinnen schnell an Höhe. Nun wird es auch stellenweise trailig, es geht auf und ab. Ein erster Test für meinen lädierten Knöchel verläuft positiv. So kann es weiter gehen.
Wieder aus dem Wald heraus, befinden wir uns schon am Ferchensee. Der Weg am Ufer entlang ist ein Traum. Auf der gegenüber liegenden Uferseite können wir die erste VP am Gasthaus Ferchensee erkennen. Die Verpflegungsstation V7 bei km 5,4 ist großzügig eingerichtet. An mehreren Tischen versorgen uns Helfer mit diversen Getränken und am Buffet gibt es allerlei Kuchen, Obst (sogar Ananas), Nüsse, Käse, Wurst und Brot. Ab hier sind wir nun auf der Strecke, die auch die Läufer der langen Distanz zu bewältigen haben. Die können aber noch nicht hier sein, weil die V7 der Supertrail-Strecke ungefähr bei km 30 ist.
Nach kurzer Pause und Auffüllen meines Getränkevorrats laufe ich weiter. Die nächste VP wird erst in 15 km und mehreren hundert Höhenmetern sein. Mittlerweile ist es schon sehr warm geworden. Auf dem breiten geschotterten Weg komme ich gut voran. Ich bin in netter Gesellschaft mit einer Läuferin aus Norddeutschland. Plötzlich fällt die Strecke unvermittelt in genau dem richtigen Gefälle, so dass ich es gut laufen lassen kann. Gerade noch rechtzeitig erkenne ich einen Pfeil nach rechts auf einen schmalen Bergabtrail. Uff, ich muss bremsen, hohe Stufen und Steine erschweren das Laufen, wegen des Knöchels traue ich mich auch nicht so recht hinunter zu springen.
Ich bin froh, als ich heil unten ankomme. Zwei Mädels sitzen am scharfen Abzweig. Geradeaus vor mir liegt Schloss Elmau, bekannt durch den G7 Gipfel 2015. Hier im abgeschiedenen Hotel trafen sich die Regierungschefs der ganzen Welt, um die Grundlagen des Klimavertrags von Paris vorzubereiten. Im Vorfeld des Gipfels wurden schöne Straßen gebaut, die wir nun entlanglaufen. Die Wiesen rundum stehen in bunter Blüte. Streckenposten und ein kleines Fangrüppchen machen Stimmung.
Ein schmaler Pfad führt uns erneut bergauf. Bevor ich im Wald verschwinde, drehe ich mich noch einmal um. Die Aussicht ist umwerfend: Schloss Elmau liegt unter mir umrahmt von dunklem Wald und dem Wettersteinmassiv.
Dafür geht der Weg nun steil bergauf. Reizende Abwechslung bietet eine Lichtung mit den weißen Blüten von Giersch, der hier in Mengen wächst. Die Tür am Weidezaun steht offen und so gelangen wir auf die Elmauer Alm. Eine Fotografin schießt Läuferbilder vor dem Hintergrund des Bergmassivs, das nun richtig nah erscheint. Die Almhütte liegt auf 1200 m ü. M., Wanderer machen auf den gemütlichen Bänken Rast; auch die Bergwacht ist präsent. Fast hätte ich ebenfalls eine Pause eingelegt, aber die Vermutung, dass der Weg nun flacher wird, lässt mich weiterlaufen. Vielleicht einen Kilometer weiter geht es aber schon wieder deutlich bergauf.
Trotz des steilen Anstiegs bin ich hin und weg vom urigen Wald. Umgestürzte Bäume, bemooste Felsen und zahlreiche bunte Blumen. Dazu eine Luft, wie man sie nur in den Bergen findet - ich fühle mich ganz in meinem Element. Irgendwann bin ich oben, um eine Kurve herum fällt der Weg steil bergab. Aber nur kurz, schon geht es wieder hoch. Dieses Spiel wiederholt sich nun einige Male. Zwischendurch gibt es Aussicht auf Hügel, Wald und Berg.
Dann bin ich doch oben mit einem Rundblick vom Feinsten. Zwei Bergwachtler haben es sich im Unterstand gemütlich gemacht und feuern mich an. Hinter dem Schild, das mir „25 km to go“ ankündigt, kann ich zum ersten Mal den markanten Gipfel der Alpspitze erblicken. Dort unterhalb des großen Schneefeldes sollte der Osterfelder Kopf liegen, um den müssen wir herum. Das ist noch weit.
Die nächsten 2 km geht es tendenziell bergab. Teilweise ist es so steil, dass ich richtig abbremsen muss. Unten warten zwei Streckenposten, dann geht es wieder bergauf. Hinter einer Hütte wird es steil, zwischen blühenden Wiesen führt der Grasweg hinauf. Der Gipfel des Eckbauern mit Christuskreuz liegt auf 1200 m Höhe. Ein Bauernpaar macht Heu auf althergebrachte Weise mit Sense und Rechen - eine mühsame Arbeit. Auch einige Wanderer sind unterwegs, der Gipfel ist mit der Seilbahn gut zu erreichen. Etwas unterhalb ist die Sonnenterrasse des Berggasthofs gut besucht.
Das Wetter ist jetzt nicht mehr so schön, es hat zugezogen. Hoffentlich hält das noch. Dafür ist es nicht mehr so heiß. Ein wunderbarer schmaler, aber gut ausgebauter Wanderweg führt durch lichten Wald nach unten. Endlich kann ich einmal rennen, schon um mal andere Muskeln zu belasten. „20 km to go“, die Straße hat immer noch Gefälle, ich bin gut dabei. Am Eventhotel Graseck füllen Läufer ihre Flaschen am Wasserhahn. Ein Schild weist den Weg zur Partnachklamm.
Steil führt der Pfad nach unten zur eisernen Brücke. Sie überspannt die Klamm in 68 m Höhe und bietet einen kleinen Einblick, was den Besucher des 700 m langen Naturdenkmals erwartet. Der eigentliche Weg führt unten nahe am Wasser durch Höhlen und enge Steige. Für uns geht es nun wieder bergauf, und das ziemlich steil.
Unterhalb der Partnachalm verlassen wir den Wald auf schmalem Pfad. Nun wird unsere Geduld auf eine harte Probe gestellt. Direkt über uns hören wir Leute, die sich bei Essen und Trinken unterhalten, aber wie kommen wir hinauf? Unser Weg läuft irgendwie ins Leere. Unversehens zweigt aber doch eine Aussparung nach rechts, die Almwirtschaft ist erreicht. Kurz dahinter befindet sich die V8 bei km 19.
Kistenweise stehen geschnittenes Obst und Gemüse bereit. Schüsseln mit Käse und Wurst, Salzstangen, Honigkuchen, wo soll ich nur anfangen zu essen? Die nächste VP kommt in 8 Kilometern, soll ich nochmal eine zweite Flasche füllen? Bisher hat mir mein Vorrat gut gereicht und ich müsste das vielleicht unnötig den Berg hinaufschleppen. Ich beschließe lieber hier genügend zu trinken und und mache mich dann wieder auf den Weg.
Zunächst führt ein breiter Schotterweg auf und ab. Hier kommt der erste Läufer des Supertrail mit langen Schritten vorbei gejoggt. Ich bin so überrascht, dass ich vergesse, ihn anzufeuern. An einer Hütte entspannen Bergwachtmänner, es sei ihnen gegönnt. Dann ab km 23 beginnt ein 10 km langer Anstieg mit insgesamt 1000 Höhenmetern. Immer wieder überholen nun Ultras, zu erkennen am kraftvollen schnellen Schritt. Der Schotterweg biegt bei „km 15 to go“ in einen schönen Trail. Das Gelände ist perfekt mit Flatterband markiert. So sieht man schon von weitem, wo es hingeht.
Es sind ungewöhnlich viele Läufer unterwegs, normalerweise bin ich auf solchen Trails alleine. Hier kommen sie im Minutentakt von hinten, grüßen und steigen vorbei. Ich feuere jeden an und merke dabei, dass sie genauso leiden, wie ich. Ich leide halt länger. Dass selbst ich den einen oder anderen Basetrailer überholen kann, erstaunt mich dann aber doch.
Trotz der Anstrengung bin ich hin und weg von dieser Natur pur. Wir klettern über umgestürzte Bäume, durchqueren Bäche, bewundern kleine und große Felsen und erfreuen uns an Blüten aller Farben.
Höre ich da klatschende Zuschauer? Ich kann es kaum glauben, aber gleich bin ich oben. Ich muss kurz stehen bleiben und den Augenblick genießen. Hier oben auf über 1600 m ist ja Highlife. Unter den wachsamen Blicken der Bergwacht wird jeder Ankömmling ausgiebig gefeiert. Wo ist die VP? Ah, da unten ist sie ja. Warum ist der Weg dorthin abgesperrt und die Pfeile zeigen den Schotterweg bergauf?
Etwas verwirrt folge ich einem Läufer nach oben. Der Weg bringt mich immer weiter von der Getränkestation weg. Ein Blick auf meine Laufuhr zeigt, dass ich die geforderten 27,4 Kilometer aber noch nicht erreicht habe. Also gut, laufe ich halt weiter bergauf. Wobei ich eher gehe, während andere locker (so sieht es zumindest aus) an mir vorbei joggen.
Der Weg führt am Hang entlang, Berge soweit das Auge reicht. Um eine Kurve herum kommt nun die Hochalmbahn in Sicht, etwas weiter müsste der Alpspitzgipfel liegen, leider im Nebel verborgen. Neben der Seilbahn und der geschlossenen Hütte liegt die V9, bei 27,4 km und 1700 Höhenmetern.
Es gibt warme Suppe und Nutellabrot, die perfekte Kombination für die letzten 300 Höhenmeter Aufstieg. Der Osterfelderkopf liegt ebenfalls im Nebel, kleinere und größere Schneefelder sprenkeln den Berg vor uns mit weißen Tupfen. Es ist frisch, daher ziehe ich meine Armlinge über.
Hier herrscht ganz schöner Läuferverkehr: von links kommen Schnelle den Berg heruntergerannt. Wir biegen zunächst auf den gleichen Weg, werden dann aber vom Streckenposten nach oben geleitet. Ein steiler, aber gut präparierter Weg steigt Richtung Gipfel. Große Tafeln zeigen, dass wir uns wohl auf einem Geologischen Lehrpfad befinden. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich sicher allerlei Wissenswertes erfahren.
So genieße ich einfach die atemberaubende Hochgebirgslandschaft. Ein paar Serpentinen später sitzt die Fotografin mit auffälliger roter Mütze. Das gibt sicherlich tolle Bilder. Zwei Bergwachtler ruhen im Gelände. Sie behaupten, es seien nur noch 10 km und 100 Höhenmeter. Ein Blick auf meine Uhr zeigt 200 Höhenmeter und 11 Kilometer - naja, das sollten wir wohl nicht zu genau nehmen.
An einem Schneefeld sind Seile gespannt. Im Briefing wurde versprochen, dass es wirklich fixe, also feste Seile wären nicht nur Absperrungen. Bei mir klappt das Hochziehen auch ganz gut. Der Weg wird steiler und ausgesetzter, aber noch kein Grund zur Panik. An einer engen Stelle sind fixe Stahlseile gespannt. Ich komme gut darüber. Der Schnee ist in den letzten Tagen weniger geworden, manche der angebrachten Sicherungsseile sind nur noch Dekoration. An einer Stelle muss man klettern, das würde auch ohne Seil gehen, aber wenn sie schon mal da sind, nutze ich sie auch.
Der nächste Fotograf verspricht mir noch 75 Höhenmeter, das entspricht auch meiner Messung. Hier steht nun auch das „10 km to go“ Schild. Hinter der nächsten Kurve kommt die Bergstation der Alpspitzbahn auf dem Gipfel des Osterfelder Kopfes in Sicht. Noch einmal über ein Schneefeld, dann ein paar letzte Schritte und ich bin oben auf 2050 m. Ein weiterer Mitarbeiter der Bergwacht in warmer Jacke beglückwünscht jeden der ankommt und mahnt zur Vorsicht beim Abstieg.
Jetzt geht es bergab. Ob es ein Vorteil ist, wenn man sieht wo es hingeht - ich weiß es nicht. Von oben hat man jedenfalls einen atemberaubenden Blick auf die nun vor uns liegende geschotterte Serpentinenstraße. Das geht ganz schön in die Oberschenkel. Endlich wird es wieder flacher. Leider bin ich noch nicht unten. Gerade sehe ich einen Läufer vor mir in einem riesigen Felsentor verschwinden.
Gleich bin ich an selber Stelle und muss erst einmal anhalten. Völlig unerwartet stehe ich vor einem atemberaubend hohen Felsen, zu dessen Füßen sich ein Mantel aus weiß glänzendem Schnee ausbreitet. Der obere Teil der Felswand steckt im Nebel; ich habe das Gefühl, in einem schwarz weiß Bild zu stecken. Den anderen Läufern geht es ebenso. Wirklich jeder bleibt erst einmal stehen und macht ein Foto. Dann laufen wir uns in weiteren Serpentinen abwärts. Langsam machen meine Oberschenkel zu. Ich muss die steilen Stücke vorsichtig gehen, Schmelzwasser fließt über den Weg und ich hab Angst wegzurutschen.
Der Fels geht auseinander und macht den Blick frei auf das weite Hochtal, das wir herauf gekommen sind. Das Wetter scheint zu halten. Endlich unten angekommen, scheinen sich die zwei Bergwachtleute mit mir zu freuen und rufen mir zu: „Du hast es geschafft, Glückwunsch“.
Eine Kurve weiter bergab stellt sich heraus, dass diese Wünsche noch etwas verfrüht sind. Ich kann die Hochalm zwar schon sehen. Aber sie liegt noch sehr weit unten. Ein paar steile Stellen später bin ich jetzt endlich doch auf dem Weg von vorhin und darf nun gerade aus weiter. Erneut genieße ich den Umstand, dass ich noch lange nicht Letzte bin. Außerdem sind noch die Schnellen, die den Supertrail in weit unter 10 Stunden finishen werden, unterwegs.
Der Wanderweg geht nun tatsächlich nochmal bergauf. Wow, sind meine Beine müde. Hilfe, ich kann nicht mehr! Trotz moderatem Gefälle kann ich nur noch gehen. Es dauert daher lange, bis ich die V10 am Kreuzeck erreiche. Hier setze ich mich erst einmal auf die Bank und verpflege mich ausgiebig. Jetzt geht es nur noch ca. 4 km steil den Jägersteig hinunter und dann noch 2 km im Ort bis zum Ziel im Musikpavillon. Das schaffe ich locker in insgesamt weniger als 9 Stunden.
Mutig setze ich die ersten Schritte in den Steig. Zunächst geht das ganz gut. Es ist nicht so steinig und stei,l wie gedacht. Ich komme gut voran. Wenn ein Schneller von hinten anschnauft, mache ich Platz, um ihn nicht zu behindern.
Wird es steiler, wird es steiniger? Oder bin ich einfach nur platt? Mit jedem Schritt bekomme ich größere Schwierigkeiten. Einmal knickt mein angeschlagener Knöchel weg. Ich muss besser aufpasse, nur nicht stürzen. Das wäre für meine gerade verheilten Knie und Ellenbogen großer Mist.
„5 km to go“. Der Pfad wird besser und es geht weich im Wald hinunter – vielleicht 100 Meter. Dann wird es umso schlimmer. Ich war noch nie so froh, auf eine Straße zu kommen. Hier geht es weiter und ich schöpfe neue Hoffnung, in endlicher Zeit das Ziel zu erreichen. Leider zeigen Pfeile bald wieder in den Hang.
Die ersten Meter muss ich hinunter rutschen, so steil ist es. Im Wald wird es etwas besser. Eine Läuferin benutzt ihre Stöcke als Krücken, denn sie ist am Bein verletzt, die Bergwacht ist schon informiert und auf dem Weg. Bestürzt unterhalte ich mich mit einer anderen Läuferin, die bemerkt hat, wie unsicher ich auf den Beinen bin. Sie bietet mir einen Stock als Hilfe an, aber ich lehne ab. Mir fehlt die Technik, um jetzt ein Experiment zu wagen.
Vor mir liegt eine weite Wiese, mehrere Wege führen hinunter. Ich merke, dass mich ein Bergwachtmitarbeiter von unten beobachtet. Locker laufen geht nicht und so tue ich, als würde ich dauernd fotografieren. Nicht, dass er merk, wie platt ich bin. Als ich ihn passiere, beglückwünscht er mich zur Leistung und meint, es wären nur noch 750 m steil bergab – das ist kein Witz.
Eigentlich geht es mir gleich besser, weil ich nun weiß, dass es wirklich nicht mehr weit ist. Dafür wird der Weg nun zusätzlich rutschig, weil genau hier ein Rinnsal fließt. Ich erlebe nicht nur einmal, wie selbst gute Läufer ins Rutschen kommen und sich nur mühsam auf den Beinen halten können. Auch die Läuferin von vorhin, die mir netterweise einen Stock leihen wollte, hat es erwischt, sie hat sich an einem Absatz den Fuß verdreht - das sieht nicht gut aus. Zwei Helfer sind schnell zur Stelle und so kann ich leicht geschockt weiterlaufen.
Nun ist es tatsächlich gleich geschafft. Ich kann die Straße schon sehen. Erleichtert setze ich die ersten Schritte auf den glatten Asphalt. Meine Beine sind wie Pudding, joggen ist unmöglich. Unter den Anfeuerungsrufen der Streckenposten erreiche ich gehend den Abzweig in den Ort. Auf dem Radweg versuche ich wieder anzulaufen, das gelingt leidlich, verhindert aber nicht, dass mich viele Läufer der langen Strecke überholen. Ich gönne es ihnen von Herzen.
Passanten motivieren und feuern mich an. Trotz wackeligen Beinen fühle ich mich gut. Vor der letzten Kurve beginnt es tatsächlich ohne Vorwarnung zu schütten, so dass ich klatschnass das Ziel erreiche. Das Publikum tobt. Erleichtert nehme ich meine wohlverdiente Medaille in Empfang.
Laura ist schon lange im Ziel, Norbert beim Supertrail, wie viele andere auch, ausgestiegen. Die Zielverpflegung ist wieder vom Feinsten, hier schließt sich der Kreis. Stolz ziehe ich mein Finishershirt über und wir genießen noch eine Weile die phänomenale Stimmung im Zielbereich. In der Nacht gibt es dann tatsächlich noch die angekündigten Gewitter. Gut dass da schon der letzte Läufer im Ziel war.
Fazit:
Der Zugspitz Ultratrail ist nicht umsonst der größte deutsche Traillauf. Es ist für jeden etwas dabei. Auf dem Basetrail XL gibt es, vom Jägersteig mal abgesehen, keine schwierigen Trails, hier sind der Knackpunkt die 2000 Höhenmeter, die man ja größtenteils auch wieder hinunter muss. Die Strecke ist phantastisch ausgeschildert, die Bergwacht ständig präsent, die Verpflegung phänomenal, die Stimmung grandios. Alles in allem ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für mich war die Runde um den Osterfelderkopf der absolute Höhepunkt. Natürlich hatten wir auch perfektes Wetter. Vielleicht wage ich mich mit etwas mehr Training nächstes Jahr auf den Supertrail.