Es gibt Dinge, bei denen man bei klarem Verstand sagen würde: ohne mich. Und einem anderen, der es nicht lassen kann: du bist verrückt. 100 km durch das Hochgebirge und dabei auch noch 5.420 Höhenmeter rauf und runter zu rennen, nicht auf fünf Tage verteilt, sondern am Stück. Das macht doch kein normaler Mensch.
So gesehen, muss man wohl das Hirn ausschalten oder nicht ganz bei Trost sein, sich auf so etwas freiwillig einzulassen. Und doch war es für mich keine Frage: Da muss ich hin. Für einen Münchner ist die Zugspitze ja ohnehin fast so etwas wie der Hausberg. Und wenn man das Wettersteingebirge, in das Deutschlands einziger Möchtegern-3.000er eingebettet ist, aus der Perspektive traumhafter Bergwanderungen kennt, dann ist die Verlockung, hier auch einmal eine “Monsterbergtour” zu unternehmen, einfach zu groß.
Dieser Verlockung sind bei der Premiere des “Zugspitz Ultratrails” im letzten Jahr immerhin 450 Neugierige erlegen, von denen es dann etwa 75 % bzw. konkret 329 in der Sollzeit von 25:45 Std. bis ins Ziel schafften. Dazu kamen 236, die sich mit der Super-Trail genannten “Kurzdistanz” (68,8 km, 3.120 HM) begnügten. Damit hat die deutsche Antwort auf den Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB) einen äußerst respektablen Einstand gegeben. Und mit drei bzw. zwei Qualifikationspunkten für den legendären UTMB wird das Finish zudem belohnt.
Dass der Premierenerfolg des “ZUT” nicht nur eine Eintagsfliege war, belegen die in der Summe gleich hohen Anmeldezahlen für die beiden Läufe der Zweitausgabe. Und sie sorgen auch dafür, dass sich auf dem Startgelände im Herzen des Zugspitzdorfs Grainau nicht nur ein Häuflein, sondern ein richtig großer Haufen Unentwegter einfindet. Die Startunterlagen nebst Trailbook und einen schicken Laufrucksack von Sponsor Salomon obendrauf gibt es freitags bis spät abends im Haus der Kurverwaltung. Ein paar Schritte weiter bietet eine Expo den Läufern Gelegenheit, sich speziell mit Berglauf-Accessoires einzudecken.
Das Stimmungszentrum ist allerdings der Musikpavillon, der sich als veritables offenes Großzelt mit Bühne und Gastronomie entpuppt. Hier trifft sich die Community der Ultraläufer zu Ratsch, Speis und Trank. Ein Trupp gestandener Goaßlschnalzer sorgt für Lokalkolorit und lässt die Peitschen dicht über den Köpfen der Läufer knallen. Zur (übrigens ausgezeichneten) Pasta werden wir mit Infos, Warnhinweisen und Verhaltensmaßregeln en gros für den morgigen Renntag gebrieft. Wer läuferisch gar nicht genug bekommen kann oder sich besonders einstimmen will, kann um 21:30 Uhr noch an einem knapp 5 km langen Night Trail teilnehmen. Darauf verzichte ich allerdings dann doch - und auch fast alle anderen. Da übt das Nationalereignis der Fußball-EM-Viertelfinalbegegnung zwischen Deutschland und Griechenland, dem sich der Veranstalter mit der Möglichkeit zum Public Viewing auf der Großleinwand beugt, schon eine ganz andere Anziehungskraft aus.
Die Nacht ist kurz, zumindest für die Ultratrailläufer. Schon um 6 Uhr herrscht geschäftiges Treiben rund um das Startgelände. Das Heer der Läufer bietet kleidungs- und ausrüstungsmäßig einen interessanten Stilmix aus Bergwanderer, Läufer und Expeditionsteilnehmer: Einerseits bunt und sportlich-dynamisch gewandet, andererseits mit obligatorischem Rucksack, Trinkflaschen und Trekkingstöcken ausgerüstet. Auf einen Rucksack kann man schon deshalb nicht verzichten, weil das Reglement - der UTMB lässt grüßen - Einiges an Pflichtgepäck vorschreibt. Ersatzkleidung, Stirnlampe, Notfallausrüstung, Handy sind obligatorisch - und ein durchaus gewichtiger Getränkevorrat von 1,5 Litern.
Am Zugang zum Startkanal im Musikpavillon werden strichprobenartig Kontrollen vorgenommen.
In einem letzten Briefing um 7 Uhr werden die ungeduldig mit den Hufen scharrenden Läufer nochmals mit tagesaktuellen Besonderheiten und Risiken der Strecke vertraut gemacht und so erfahren wir bereits, dass zu den heutigen Herausforderungen auch ein Schneekriterium gehört.
Dann endlich, um 7.15 Uhr: Der Startschuss. Zu den Klängen des AC/DC-Klassikers “Highway to hell” werden wir in unser Laufabenteuer entlassen. Bis 9 Uhr am nächsten Morgen haben wir nun Zeit, nach 100 km wieder hierher zurück zu finden, vorausgesetzt, man reißt nicht bereits eine der Zeithürden unterwegs.
Die ersten Kilometer führen moderat profiliert durch das hübsche Grainau und sodann durch die angrenzenden Wiesen und Wälder ins nahe Hammersbach (km 2,5). Recht schonend werden wir so auf Laufbetriebstemperatur gebracht. Die Landschaft und das alles überragende Zugspitzmassiv leuchten in der Morgensonne, bei mir leuchten dafür schnell die Schweißperlen. Sichtlich überfordert ist nur eine Kuhherde, die sich vom aufmarschierenden Läuferheer zu panikartiger Flucht veranlasst sieht.
Hammersbach - mit diesem Dorf verbinde ich eine Bergtour der Extraklasse: Denn von hier wandert man zunächst noch gemütlich zum Eingang des Höllentals, dann über abenteuerlich angelegte Pfade, Treppen, Stiege und Tunnel durch das spektakuläre, bis zu 150 Meter tief in den Fels eingeschnittene und an der schmalsten Stelle gerade einmal 2 Meter breite, wasserdurchtoste Tal. Ein Bilderbuchpanorama erwartet den Wanderer im folgenden Hochtal des Höllentalanger, ehe es alpin über einen fantastischen Klettersteig mit zwischenzeitlicher Gletscherpassage über den Höllentalferner bis zum Gipfel der Zugspitze hinauf geht.