Mit Ulrich und Jesper aus Dänemark verlasse ich die Verpflegungsstation. Sie sind zum ersten Mal im Ausland in den Bergen unterwegs. In Dänemark haben Sie nur den Himmelberg zum Trainieren, wenn’s mal weiter rauf gehen soll. Der galt bis 1847 als höchster Berg Dänemarks und ist …147 Meter hoch. Ich habe gegoogelt, man hat mit moderneren Messmethoden noch einen höheren „Riesen“ gefunden, er heißt Møllehøj und misst genau 170 Meter und 86 Zentimeter. Verständlich, bei diesen Höhen muss man schon sehr genau sein. Über Jahrzehnte führte man in Dänemark sogar heftige Diskussionen, ob nicht doch der 172,54 m hohe Grabhügel des Yding Skovhøj als höchster Berg gilt. Er wird aber nicht gezählt, da er keine natürliche Erhebung ist.
Die beiden sind trotz Höhentrainingsdefizit gut drauf und schlagen sich wacker. Da fällt mir auf, dass sie die Startnummern 2000 und 2001 tragen, damit müssten sie ja die ersten Anmelder auf der Supertrailstrecke gewesen sein. „Ja, ja, wir konnten es nicht erwarten und wollten unbedingt sicher dabei sein“, erzählt mir Ulrich.
Bis zur Bergstation Alpspitzbahn liegen auf den nächsten 10 Kilometern über 1100 Höhenmeter vor uns. Die ersten drei davon sind auf breiten Forstwegen noch mäßig steil und einfach zu bewältigen. Dann geht’s tief rein in den Stuibenwald. Auf wunderschönen Single-Trails schlängeln wir uns langsam nach oben. Janina nennt ihn den Gute-Laune-Aufstieg.
Der Wald ist abwechslungsreich und es gibt viel zu sehen. Neben uns rauscht die Bodenlaine in einem tiefen Bett. Wenig später passieren wir das „Moosviech“. Tolle Felsformationen, umgestürzte Bäume zum Übersteigen und dazu der begeisternde Trail faszinieren mich, obwohl der Aufstieg zäh und mühsam nach oben führt.
Von weiter oben kann man bereits Anfeuerungsrufe vernehmen, aber es dauert noch etwa 15 Minuten, bis wir das erste Teilstück dieses langen Anstiegs geschafft haben. Etwas oberhalb der Talstation der Längenfelder Bahn verlassen wir den Wald. Hier unterläuft im Übrigen der bis dahin führenden Italienerin Simona Morbelli beim UT ein verhängnisvoller Fehler. Sie biegt nach unten ab und erspart sich die Schleife über den Osterfelderkopf. Kurz vorher wurden wir noch von ihr überholt.
Nach zweihundert Metern aufwärts erreichen wir V8. Liegestühle stehen für eine kurze Entspannung bereit. Die Plastikschale voll Nudelsuppe schmeckt köstlich, wenigstens hier sind wir nicht gezwungen, auf unsere Mini-Trinkbecher zurückzugreifen. Nach ein paar Minuten Erholungspause geht es weiter.
Wir befinden uns mittlerweile auf 1600 m Höhe mit wunderbarer Aussicht ins Reinthal, noch fehlen aber 400 m bis zur Bergstation der Alpspitzbahn. 6 km beträgt die Runde, die uns hinauf und wieder runter zur Längenfelder Verpflegungsstation zurück bringt. Bis zur Hochalm ist die Schotterstraße gut zu marschieren, aber dann geht sie in eine höllisch steile Rampe über, die einem nochmals die letzte Kraft aus den Gliedern saugt. Ich bin am Jubeln, als sie überwunden ist.
Durch das Skigebiet geht es rauf zum Osterfelderkopf direkt am Fuße der imposanten Alpspitznordwand – mehr atemberaubende alpine Kulisse geht fast nicht mehr. Die Alpspitz-Ferrata gehört zu den beliebtesten Klettersteigen in Deutschland. Er überwindet die letzten 500 Höhenmeter auf den Gipfel der Alpspitze. Da müssen wir aber nicht hinauf. Auch weiter unten ist die Landschaft bereits hochalpin und äußerst karg, nur niedriges Buschwerk und kahle Felswände gibt es zu sehen. Und ein paar Kunstwerke, oder sind es Erholungsschaukeln? Ich weiß nicht genau, was es darstellt. Ein paar Meter weiter am Aschengratdurchstich wurde in die mächtigen Felsen ein Durchbruch gesprengt. Vor uns liegt die Bergstation der Alpspitzbahn und der Final Countdown bzw. Aufstieg.
Die letzten Aufstiegsmeter führen uns rechts an der Bergstation vorbei. Leider versagt bleibt uns der grandiose Blick hinunter ins wilde Höllental von der Aussichtsplattform „AlpspiX“. Zwei rund 25 Meter lange Stahlträger formen ein schwebendes X über tausend Meter Tiefe. Sie liegt nur wenige Meter oberhalb der Alpspitzbahn, aber links vom Gebäude. Dazu müssten wir noch etwa 100 Meter aufsteigen. Auf’s Bild bekomme ich sie auch nicht richtig, so sehr ich mich anstrenge.
Endlich oben, fast 3.000 Höhenmeter sind gepackt. Vor uns liegen jetzt noch 9 km Downhill. Wer sich jetzt aber auf einen gemütlichen Abstieg freut, wird schnell eines Besseren belehrt. Schon von Beginn an geht der Weg steil und felsig an Bergflanken entlang und oft steil bergab. Ich weiß bereits, was auf mich zu kommt, bin hier schon bei Tag und Nacht abgestiegen und es war jedes Mal brutal schwer.
Immer wieder treffen wir auf Bergwachtleute, die sich hier oben mit Lagerfeuern und teils improvisierten Zelten etwas eingerichtet haben und die Nacht hier verbringen, um bei einem Notfall schnell eingreifen zu können. Für mich sind sie wahre Berghelden, nicht nur die schnellen Racer. Ohne sie könnten wir unserem Vergnügen hier nicht nachgehen. Dass sie auch dringend benötigt werden, dafür sprechen die nackten Zahlen. Insgesamt 300 Abtransporte aus alpinen Regionen mussten im Verlaufe der Veranstaltung durchgeführt werden. Ernsthaft passiert ist glücklicherweise nichts.
Nur kurz halte ich mich, zurück am Längenfelder VP, am Getränkestand auf. Die Zeit drängt. Um 22 Uhr erfolgt der Anpfiff unseres Teams bei der WM in Brasilien. 50 Minuten bleiben, um die Live-Übertragung auf Großbildleinwand im Musikpavillon, unserm Zielort, mitverfolgen zu können. Mir ist es zwar nicht ganz so wichtig, aber ein Ansporn ist es allemal.
Auch bei meinem dritten Mal ist der Abstieg nicht leichter. Richtiges Laufen ist für mich gefahrenfrei kaum möglich. Überholt werde ich dennoch, aber das sind fast ausschließlich die Vorderen des Ultratrail-Klassements. In Hammersbach ist der Abstieg zu Ende. Zwei Kilometer auf Asphalt sind noch bis unters Zielbanner in Grainau zu absolvieren. Um ein paar Minuten haben Mario und ich den Anpfiff verpasst, Tore sind noch keine gefallen, so haben wir nichts versäumt. Neben uns gibt die Damen-Siegerin im Ultratrail, Anne-Marie Flammersfeld gerade ihr Ziel-Interview.
Eine tolle Sache ist beim Zugspitz Ultratrail auch die stimmungsvolle Siegerehrung, sie findet am Sonntag um 10 Uhr statt. Eine Stunde nachdem der Lletzte auf der Strecke des Ultratrails über die Ziellinie läuft. Anders als bei vielen anderen Rennen findet sie nicht nur vor einer Handvoll Sieger samt Anhang statt, sondern hier werden vor vollbesetzter Kulisse in drei Kategorien je Geschlecht die Sieger aller vier Rennen gekürt und alle bekommen ihren verdienten Applaus.
Sensationeller Gewinner des Ultratrails bei den Herren ist Stephan Hugenschmidt, nebenbei hat der noch den Streckenrekord des Spaniers Miguel Heras von 2011 um fast 20 Minuten pulverisiert. In wahnsinnigen 10:36.50 Stunden ist er über die Strecke geflogen. Dem kleinen Lauffloh sieht man das überhaupt nicht an. Favorit Mohamad Ahansal steht nicht auf dem Treppchen, bei ihm lief von Anfang an überhaupt nichts zusammen, nach 40 Kilometern musste er bereits die Segel streichen. Beim Basetrail hat unsere Olympia-Teilnehmerin und Nachwuchshoffnung Laura Dahlmeier den 2. Platz erreicht und bewiesen, dass Biathleten nicht nur Schießen und Langlaufen können. Am Ende dürfen alle Berghelden auf die Bühne zum Gesamt-Finisherfoto.
Der Zugspitz Ultratrail hat bewiesen, dass er zu Recht als die Nr. 1 in Deutschland gilt. Alles ist perfekt organisiert und abgewickelt. Nicht optimal dagegen ist oftmals die Form, bzw. das Können der Teilnehmer. Manch einer mutet sich zu viel zu. Bei den Rücktransporten der Bergwacht sind auch diesmal Läufer dabei, die noch nie einen Fuß auf alpines Gelände gesetzt hatten, wie uns Rennleiter Wolfgang Pohl beim Resümee berichtet.
Der ZUT ist ein hartes Rennen und man sollte schon wissen, auf was man sich einlässt. Aber er ist auch ein verdammt schönes und aufregendes Erlebnis.
ULTRATRAIL
Men, 453 Klassierte
1. Hugenschmidt Stephan, 10:36.50
2. Clemente Mora Cris, 11:14.39
3. Doherty Dan, 11:30.26
Women, 48 Klassierte
1. Flammersfeld Anne-Marie, 13:53.21
2. Ogi Helene, 15:19.27
3. Polyakova Elena, 15:51.22
SUPERTRAIL XL
Men OV, 94 Klassierte
1. Philipp Anton, 9:19.56
2. Zäh Stefan, 9:59.03
3. Zechmeister Tomm, 10:40.52
Women, 24 Klassierte
1. Pálos Zsófia, 11:14.26
2. Berglund Kristin, 11:20.23
3. Eisele Gabi, 13:00.39
SUPERTRAIL
Men, 277 Klassierte
1. Schedler Martin, 6:41.54
2. Walk Steffen, 6:55.00
3. Arend Michael, 6:57.04
Women, 69 Klassierte
1. Färberböck Eva, 7:52.16
2. Schichtl Kathrin, 7:55.08
3. Gundel Alexandra, 8:07.21
BASETRAIL
Men, 423 Klassierte
1. Fankhauser Peter, 3:32.28
2. Syme Andrew, 3:38.07
3. Kowalczyk Janosch, 3:38.39
Women, 204 Klassierte
1. Fischl Tina, 3:51.08
2. Dahlmeier Laura, 4:05.59
2. Schlump Regine, 4:05.59