Fast eine Stunde dauert die Überführung nach Leutasch, Ortsteil Weidach. Es herrschen angenehme Temperaturen und hie und da blitzt sogar die Sonne durch die Wolken. 45 Minuten vor dem Start werden wir aufgerufen, um uns in die Startaufstellung zu begeben. 266 Läufer/innen stehen am Start und von jedem wird die Ausrüstung kontrolliert und das dauert etwas. Gut, wir müssen nichts, was wir mühevoll gepackt haben, wieder rauswerfen, aber die Herrschaften schauen schon rein, und lassen sich die wichtigsten Sachen zeigen. Trotzdem kommt mir bei manch einer/m der Rucksack schon sehr schmalbrüstig vor. Vielleicht hamm die ja ein Kondom als Regenüberzieherli dabei, da wäre gleich viel Platz gespart. Aber ist nicht meine Sache, ich hab auf alle Fälle alles parat.
Um 9 Uhr wird gestartet und als StartUp hätte ich jetzt eigentlich gedacht wird der offizielle Song „Coming home“ gespielt, der beginnt nämlich gleich sehr eindrucksvoll und passend mit: „Here I stand…“ aber Pustekuchen, AC/DC jagen uns mit „Highway to Hell“ aus Weidach hinaus. Passt natürlich zugegebenermaßen auch optimal, für wie viele es einer geworden ist, werden wir in den Ergebnislisten lesen können. Einen Kilometer nach der Ortschaft geht es am Weidacher See an den Preisfischern vorbei und danach rein in den Wald mit den ersten noch mäßigen Steigungen. Nach nicht einmal zwei Kilometern verliere ich schon eine meiner Wasserflaschen. Die Befestigung an der Stelle habe ich auch noch nie zuvor ausprobiert und jetzt weiß ich, da hält sie auf Fälle nicht. Ich hätte auch eine Trinkblase wählen können, aber mich nervt das ständige Wassergeschüttele im Rucksack, sodass ich Flaschen bevorzuge. Da ich noch wenig getrunken habe, transportiere ich sie vorerst noch in der Hand um mich mit Flüssigkeit zu versorgen.
Von Didi kann ich noch ein schönes Bild machen, dann passiert’s, beim Hochziehen des Verschlusses verpasse ich meiner Optik eine Direkteinspritzung. Es geht nichts mehr, so viel ich auch zu zaubern versuche, vom Akkuwechsel bis zur Reinigung. Für mich ist das der reinste SuperGAU, noch 66 km zu laufen mit den schönsten Aussichten in spe und keine funktionierende Kamera. Nach ein paar Minuten gebe ich auf, jetzt muss ein Plan B her. Mario und Jan haben auch ihre Kameras dabei und laufen noch in meiner Nähe, ich bitte sie für mich Fotos zu schießen, ist für mich natürlich nicht sonderlich befriedigend. Dann fällt mir ein, wir haben ja auch Notfallausrüstung am Mann und Handy ist auch an Board, wie praktisch. Die Kamerafunktion ist zwar umständlich aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.
Nach 11 km mit gemäßigten Auf und Ab‘s erreichen wir die Hämmermoosalm (1417 m), wo für uns Supertrailer die erste und für die UTler die 4. Versorgungsstation aufgebaut ist. Kurz zuvor fand die Streckenvereinigung beider Distanzen statt, bisher sind aber noch keine UT-Läufer durchgekommen. Alle ST-Läufer müssen hier um 11:30 Uhr durch sein, das dürfte aber wohl jeder geschafft haben, ich habe 1 Std. plus. Das Höhenprofil unseres Roadbooks verspricht uns ab hier viele Höhenmeter hinauf zum Scharnitzjoch. Grund genug, um zum ersten Mal in meinem Laufleben die empfohlenen Teleskopstöcke als Aufstiegshilfe auszuprobieren.
Die nachfolgenden Kilometer auf einem Steig durch den Gutwald lassen mein Trailer-Herz höher schlagen. Es geht wellig durch den Wald und am Hang entlang, teils mit toller Aussicht nach unten, über Wurzeln, Stock und Stein und ein Bach muss auch einmal durchquert werden. Die Steigungen sind oft laufend noch gut zu bewältigen, die Trail-Poles stören mich deshalb noch hin und wieder. Aber heute bleibt noch viel Zeit um mit ihnen eine Einheit zu werden. Die Strecke ist bisher hervorragend markiert, ich kann keine Problemstellen erkennen. Plötzlich mittendrin, an der Wangalm stehen Kontrolleure und notieren unsere Startnummern, schwarze Schafe soll es ja überall geben.
Nach der Kontrollstelle verlassen wir die Baumgrenze, es geht in einen alpinen Bereich über und es wird deutlich rustikaler und steiler. Jetzt bin ich froh die Stöcke richtig einsetzen zu können. Eine Tellermine versperrt uns an einer Engstelle den Weg, die Streckenmarkierer haben gute Arbeit geleistet und den Kuhfladen mit greller Farbe markiert. Das muss ich natürlich per Foto festhalten, aber die Handyfotografiererei nervt mich tierisch, es ist mir einfach zu unkomfortabel und kostet sehr viel Zeit. Der Südwandsteig führt uns hinauf auf das Scharnitzjoch, dem zweithöchsten Punkt der Supertrail-Runde.17 km und 1150 Hm haben wir hinter uns. Ein letzter Wiederbelebungsversuch meines Fotoapparates schlägt fehl, ich fühle mich irgendwie wie auf Entzug. Als mir Mario seine anbietet, lasse ich mir das natürlich nicht zweimal sagen. Die großartige Aussicht kann ich so gleich mit einer Serie ablichten.
Im Sandwich zwischen Gehren- und Leutascher Dreitorspitze geht es runter vom Berg. Der 1050 Hm lange Abstieg ist aber nicht von Pappe. Durch die Regenfälle der Nacht sind die Pfade und Wiesen, durchsetzt mit Felsen und Steinen, äußerst glitschig und schlammig. An manchen Stellen pappt einem der Dreck zwischen den Stollen, was das Gewicht der Schuhe gefühlsmäßig gleich verdoppelt. Ab der Waldgrenze kann man es wieder mehr laufen lassen. Aber das Ganze geht unglaublich in die Oberschenkel und die sind jetzt fast am platzen, da bräuchte es jetzt Muskelpakete wie sie manche Radler haben.
7,5 km bergab liegen am Hubertushof in Reindlau hinter uns, wo auf Mario und mich die nächste VP wartet. Der Cut liegt hier, nach nicht ganz 25 km bei 5:45 Std. Durch einen aufgeblasenen Tunnel geht es rein in die Station. Jede Menge Leute sitzen und stehen in der Röhre, ob hier auch der angekündigte Ärztecheck vorgenommen wird, kann ich nicht ausmachen, aber könnte sein. Aufgehalten werde ich jedenfalls nicht, vielleicht sehe auch noch zu gut aus, sie schaun aber auch nicht auf meine Oberschenkel. Interessanter wird es natürlich für den Dottore erst, wenn die Läufer des 100ter hier eintreffen.
Leckere Tomatensuppe ist das erste was ich mir an Verpflegung schnappe und dann gleich im Liegestuhl verspeise. Das ist wirklich ein guter Service, meine Muckis danken es. Eine ganze Menschenmenge hat sich hier versammelt, weniger Läufer, denn Betreuer und Serviceleute. Der Streckenchef ist auch da und einige Reporter mit Kameras, die werden wohl kaum wegen mir da sein. Nein, natürlich nicht, schon kommt der erste der beiden spanischen Favoriten vom UT angerauscht. Kurz hinter Miguel Heras kommt auch der zweite Iker Karrera Aranburu an. Zwei bis drei Minuten werden sie sich wohl aufgehalten haben und schon sind sie wieder weg. Unmittelbar danach kommt unser deutscher Crack Matthias Dippacher rein. Sofort stürzen sich die Kameraleute auf ihn. Mit der Kamera unter der Nase muss er sich hier verpflegen. Schon mal interessant das mittendrin zu beobachten. Da schieße ich natürlich auch ein paar Fotos aus nächster Nähe.